Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
Vom Netzwerk:
Kollegen; jeder war auf sein Fachgebiet spezialisiert und arbeitete mit seinen eigenen Vertrauensmännern zusammen. Vor allem der Chefinspektor für Sonderfälle. Was waren Sonderfälle? Wenn der KGB alle politisch Andersdenkenden verhaften wollte, würde deren Zahl ihre Wichtigkeit weit übertreffen. Also ließ man sie teilweise von der Miliz wegen scheinbarer Straftaten festnehmen, an die der Durchschnittsbürger gewöhnt war: Schwarzhandel, Diebstahl, illegaler Verkauf von Kunstwerken. Für seriös arbeitende Ermittlungsbeamte waren diese fingierten Verhaftungen eine Beleidigung. Arkadi hatte Tschutschin, den er allerdings, wie unter Kollegen üblich, duzte, stets so gut wie möglich ignoriert, als könne er dadurch seine Existenz leugnen.
    Arkadi fiel auf, wie oft in Tschutschins Akten Hinweise wie »der Informant G.«, »der wachsame Bürger G.« und »die verlässliche Quelle G.« vorkamen. Die Hälfte aller im Zusammenhang mit Ikonendiebstählen vorgenommenen Verhaftungen waren durch einen Tipp dieses Spitzels ausgelöst worden. Er blätterte in Tschutschins Abrechnungen: G. stand mit 1520 Rubel an der Spitze aller Zahlungsempfänger. In einer anderen Liste war seine Telefonnummer angegeben.
    Von seinem eigenen Büro aus rief Arkadi die Telefonzentrale an. Die Nummer gehörte einem gewissen Feodor Golodkin. Paschas Tonbandgerät stand auf dem Schreibtisch. Arkadi legte eine neue Spule auf, bevor er die Nummer wählte. Nach dem fünften Klingeln wurde abgenommen, ohne dass sich am anderen Ende jemand meldete.
    »Hallo? Ist Feodor da?« fragte der Chefinspektor.
    »Wer will ihn sprechen?«
    »Ein Freund.«
    »Gib mir ‘ne Nummer, damit ich zurückrufen kann.«
    »Können wir nicht gleich miteinander reden?« Klick.
     
    Als die ersten Sendungen von Pribluda kamen, empfand Arkadi die Art von Befriedigung, die auch illusorische Fortschritte noch auslösen können. Von den über 20 000 Zimmern in den 13 Moskauer Intourist Hotels waren etwa die Hälfte mit Abhöranlagen ausgestattet, und obwohl jeweils nur rund fünf Prozent davon eingeschaltet waren - und auch diese Gespräche nicht alle aufgezeichnet wurden -, war die Materialfülle durchaus eindrucksvoll.
    »Es kann sein, dass ihr auf einen Idioten stoßt, der offen davon spricht, dass er Ikonen kaufen oder sich mit jemandem in einem Park treffen will - aber rechnet nicht damit«, erklärte Arkadi Pascha und Fet.
    »Vergeudet eure Zeit nicht damit, Aufzeichnungen über Leute zu lesen, die von einem Intourist-Führer begleitet werden. Das gleiche gilt für ausländische Journalisten, Geistliche und Politiker; sie werden zu scharf überwacht. Konzentriert euch auf Touristen oder ausländische Geschäftsleute, die sich bei uns auskennen, Russisch sprechen und gute Beziehungen haben. Leute, die kurze, rätselhafte Telefongespräche führen und dann ihr Hotelzimmer verlassen. Hier auf diesem Gerät liegt ein Band mit der Stimme des Schwarzhändlers Golodkin, damit ihr sie mit anderen Aufnahmen vergleichen könnt. Aber es ist natürlich durchaus möglich, dass er mit dieser Sache nichts zu tun hat.«
    »Ikonen?« fragte Fet. »Wie sind wir auf die gekommen?«
    »Durch marxistische Dialektik«, antwortete der Chefinspektor. »Wir befinden uns jetzt in einem Zwischenstadium des Kommunismus, in dem Überreste kapitalistischen Gedankenguts bei einzelnen noch immer kriminelle Neigungen hervorrufen.
    Und was wäre ein kapitalistischeres Relikt als eine Ikone?« Arkadi riss eine Packung Zigaretten auf und bot Pascha eine an. »Außerdem sind an den Kleidungsstücken der Ermordeten Spuren von Gips und Gold entdeckt worden. Gips dient auch zur Holzgrundierung, und Gold kann legal eigentlich nur zur Restaurierung von Ikonen verwendet werden.«
    »Glauben Sie, dass Kunstdiebstähle dahinterstecken?« erkundigte Fet sich. »Wie der Fall in der Leningrader Eremitage? Dort haben Elektriker Kristalle aus den Museumskronleuchtern geklaut und sind erst nach jahrelangen Ermittlungen gefasst worden.«
    »Ikonenfälscher, nicht Kunstdiebe.« Pascha ließ sich ein Zündholz geben. »Das wäre auch die Erklärung für das Sägemehl an ihren Kleidungsstücken.«
    Arkadi, der den ganzen Tag lang Tonbänder abgehört hatte und nicht mehr die Energie aufbrachte, sich zu Hause selbst zu versorgen, wanderte nach Dienstschluss ziellos durch die Stadt, bis er sich vor dem Haupteingang des Gorki-Parks wiederfand, wo er sich an einem Imbissstand zwei Frikadellen kaufte und sie mit einem Glas

Weitere Kostenlose Bücher