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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Formulare eintreffen. Auch nach einer Woche sind keine gekommen. So was dauert eben seine Zeit. Nach zwei Wochen haben die Dorfbewohner den Touristen in ihrer Kühlanlage satt. Schließlich ist es Sommer, und die ungekühlte Milch wird sauer. Kurz und gut: Eines schönen Abends betrinken sie sich, werfen den Toten auf einen Lastwagen, karren ihn nach Moskau, laden ihn in eurer Eingangshalle ab und fahren heim.
    Kannst du dir die Aufregung vorstellen? Um den Toten herum stehen drei Reihen KGB-Offiziere. Ein Attache der amerikanischen Botschaft wird um drei Uhr morgens aus dem Bett geholt und mit seinem Landsmann konfrontiert. Aber er will nichts mit ihm zu schaffen haben - nicht ohne die richtigen Formulare. Kein Mensch weiß, wo sie zu kriegen sind. Irgend jemand äußert den Verdacht, es gebe vielleicht gar keine, und ruft dadurch fast eine Panik hervor.
    Niemand will diesen Amerikaner. Jemand macht den Vorschlag, ihn einfach verschwinden zu lassen.
    In den Fluss werfen oder im Gorki-Park verscharren. Schließlich werden der Chefpathologe und ich verständigt. Wir haben das richtige Formular mitgebracht und den Touristen in den Kofferraums seines Attaches verladen. Bei dieser Gelegenheit bin ich zum letzten mal in eurem Ministerium gewesen.«
    Jewgeni Mendel, der mit Osborne im Badehaus gewesen war und so häufig auf Osborne-Tonbändern vorkam, wusste nichts von James Kirwill oder den Leichen im Gorki-Park. Davon war Arkadi jetzt überzeugt.
    Während seiner ganzen Geschichte hatte Mendels weiches Gesicht den Ausdruck nicht verändert.
    »Was ist denn das richtige Formular für einen amerikanischen Touristen?« erkundigte Mendel sich.
    »Ein ganz gewöhnlicher Totenschein.«
    Mendel lachte höflich. Trotzdem fühlte er sich in Renkos Gegenwart nicht ganz wohl. Er wusste inzwischen, dass Arkadi als Chefinspektor die Mordkommission leitete, und während ihn ein Chefinspektor, der sich von unten heraufgearbeitet hatte, nicht im geringsten gestört hätte, kannte er Arkadi als Angehörigen der Neuen Klasse, der sowjetischen Elite, und war sich darüber im klaren, dass sein Gegenüber mehr als nur Chefinspektor hätte sein müssen. Mendel, ein eher unterdurchschnittlich begabter Angehöriger dieser Führungsschicht, trug einen englischen Anzug, hatte einen silbernen Kugelschreiber in der Brusttasche seiner Jacke, an deren Aufschlag das Parteiabzeichen leuchtete, saß in einem geräumigen Büro hoch über dem Smolensker-Platz, hatte drei Telefone auf seinem Schreibtisch stehen und die Messingplakette der Sojuspuschnina, der Agentur für Pelzexporte, an der Wand hinter sich hängen. Irgendwas war mit diesem Chefinspektor passiert, und was das bedeuten konnte, trieb Mendel Schweißperlen auf die Stirn.
    Arkadi nutzte diese Reaktion aus. Er erwähnte die langjährige Freundschaft ihrer Väter, lobte den Einsatz von Jewgeni Mendels Vater an der Heimatfront und ließ anklingen, der alte Gauner sei in Wirklichkeit ein Feigling gewesen.
    »Aber er ist für seine Tapferkeit ausgezeichnet worden!« protestierte Jewgeni. »Ich kann dir die Zeitungsberichte zeigen; ich schicke sie dir gern einmal zu. Er ist vor Leningrad überfallen worden! Stell dir diesen Zufall vor: Er war mit dem Amerikaner zusammen, den du neulich kennen gelernt hast!
    Die beiden wurden von mindestens zwanzig Deutschen angegriffen. Mein Vater und Osborne haben drei Faschisten erschossen und die übrigen in die Flucht geschlagen.«
    »Osborne? Ein amerikanischer Pelzhändler im belagerten Leningrad?«
    »Er ist erst nach dem Krieg ins Pelzgeschäft eingestiegen. Osborne kauft russische Felle auf und importiert sie nach Amerika. Er zahlt hier vierhundert Dollar pro Stück und verkauft sie dort für achthundert Dollar. Das ist Kapitalismus in Reinkultur - eigentlich bewundernswert, nicht wahr? Osborne ist ein Freund der Sowjetunion, das hat er oftmals bewiesen. Ich darf doch aus der Schule plaudern?«
    »Selbstverständlich!« Arkadi nickte aufmunternd.
    Jewgeni war nicht bösartig; er war nervös. Er wollte, dass der Chefinspektor endlich ging - aber nicht ohne einen guten Eindruck. »Der amerikanische Pelzmarkt wird von internationalen zionistischen Interessen beherrscht«, sagte er halblaut.
    »Von Juden, meinst du«, stellte Arkadi fest.
    »Vom internationalen Judentum. Ich bedaure, sagen zu müssen, dass es in der Agentur Sojuspuschnina Elemente gegeben hat, die diesen Interessen nahegestanden haben. Mein Vater wollte diese Interessenverbindungen auflösen

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