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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Auf gerahmten Zeitungsausschnitten marschierten und kämpften kleine graue Rotarmisten. »Abwehrerfolge an der Wolga«, »Erbitterter Widerstand gebrochen« und »Unsere Gegenoffensive rollt!« verkündeten die dazugehörigen Schlagzeilen. Below saß leise schnarchend hinter seinem Schreibtisch und hatte Brotkrümel auf Unterlippe und Hemd.
    Seine linke Hand umklammerte eine Bierflasche.
    Arkadi setzte sich auf den zweiten Stuhl und schlug das Buch auf, das er bei Nikitin entdeckt hatte.
    Die Kundgebung 1930 auf dem Union Square war die größte jemals von der KPdUSA organisierte Versammlung. Arbeitslose, die die Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit hören und von ihnen gehört werden wollten, drängten sich in unerwartet großer Zahl auf dem Platz. Obwohl der New Yorker Polizeipräsident Grover A. Whalen veranlasst hatte, dass keine U-Bahnen in der Nähe des Platzes hielten, strömten dort über 50 000 Menschen zusammen …
    Arkadi überflog den Rest dieses Absatzes sowie eine Grußbotschaft J. W. Stalins, die mit Jubel aufgenommen worden war.
    Dann rief William Z. Foster zu einem friedlichen Marsch zum Rathaus auf. Sobald die Massen sich jedoch in Bewegung setzten, versperrte ein gepanzertes Polizeifahrzeug die Strasse. Das war das Signal für Whalens in den Seitenstrassen wartende Truppen. Polizisten - zu Fuß oder wie Kosaken zu Pferd - fielen über unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder her … James und Edna Kirwill, Herausgeber des Red Star, einer Zeitschrift der katholischen Linken, wurden niedergeschlagen und verletzt. Polizisten ritten Parteimitglieder mit Spruchbändern und harmlose Passanten nieder. Parteiführer wurden überfallen und verhaftet. Dass sie weder Anwälte sprechen noch Kaution stellen durften, entsprach ganz Whalens Linie, nach der »diese Feinde der Gesellschaft ohne Rücksicht auf ihre verfassungsgemäßen Rechte aus New York vertrieben werden sollten«.
    Der Chefinspektor für Industrie öffnete seine tränenden Augen, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und setzte sich auf. Er rettete das Bier vor dem Umkippen, wischte sich die Krümel vom Hemd und warf Arkadi einen bösen Blick zu. »Wie lange bist du schon hier?«
    »Ich habe in einem Buch geschmökert, Onkel Sewa«, sagte Arkadi. »Hier steht, dass Feinde der Gesellschaft ohne Rücksicht auf ihre verfassungsmäßigen Rechte vertrieben werden sollten.«
    »Das ist ganz einfach«, antwortete der Alte nach einer kurzen Denkpause. »Feinde der Gesellschaft besitzen keine verfassungsmäßigen Rechte.«
    Arkadi schnalzte mit den Fingern. »Da haben wir’s!« bestätigte er.
    »Das ist was für Anfänger.« Below wehrte das ihm zugedachte Lob ab. »Was willst du, Arkascha? Heutzutage hörst du nur noch auf mich, wenn du was von mir willst.«
    »Ich suche eine Waffe, die im Januar in die Moskwa geworfen worden ist.«
    »Auf die Moskwa, meinst du. Der Fluss war zugefroren.«
    »Richtig, aber vielleicht nicht überall. Manche Fabriken leiten noch immer warmes Wasser in den Fluss, so dass dort kein Eis entsteht. Du kennst diese Fabriken besser als jeder andere. Sauberes warmes Wasser, das vielleicht mit einer Sondererlaubnis eingeleitet wird.«
    »Ja, ja, ich weiß, was du meinst.« Below rieb sich das Gesicht, dass seine Nase knackte. »Du meinst die Gorki-Gerberei. Sie leitet mit einer Ausnahmegenehmigung Abwasser in die Moskwa. Sauberes Wasser, versteht sich, das aber ziemlich heiß ist. Ich hab irgendwo eine Karte …« Below wühlte in seinen Schreibtischschubladen und förderte eine Industriekarte zutage: einen orangeschwarzen Plan, der auseinandergefaltet den ganzen Schreibtisch bedeckte.
    »Hier!« Er zeigte auf den Kai entlang des Gorki-Parks. »Ein Abwasserrohr. Der Fluss ist dort zugefroren, aber das Eis bildet nur eine dünne Kruste. Etwas Schweres würde sie durchbrechen - und eine Stunde später hätte die Kruste sich wieder geschlossen. Aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, Arkascha, dass ein Mann seine Pistole genau dort in den Fluss wirft, wo das Eis keinen Meter dick ist?«
    »Woher weißt du, dass ich eine Pistole suche, Onkel?«
    »Arkascha, ich bin nur alt. Aber weder senil noch taub. Ich höre Verschiedenes.«
    »Zum Beispiel?«
    »Oh, alles mögliche.« Below wich Arkadis Blick aus und sah zu den eingerahmten Kriegsberichten hinüber. »Ich verstehe die heutige Zeit nicht mehr. Früher hat man noch Vertrauen zur Zukunft haben dürfen. Es hat Cliquen, Fehleinschätzungen und vielleicht allzu

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