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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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worden.«
    »Ihre Äußerung ist natürlich nur ein Scherz gewesen. Sie hätten das erklären müssen.«
    Die junge Frau trat so dicht an Arkadi heran, dass sie sich fast berührten. »Aber es war kein Scherz, sondern mein voller Ernst. Chefinspektor, wenn jemand mir in diesem Augenblick eine Waffe in die Hand drücken und mir versprechen würde, dass ich aus der Sowjetunion ausreisen dürfe, wenn ich Sie erschießen würde, ich würde sofort abdrücken.«
    »Im Ernst?«
    »Sogar mit Vergnügen!«
    Sie drückte ihre Zigarette an der Birke neben Arkadi aus. Die weiße Baumrinde wurde unter der Zigarettenglut schwarz, kräuselte sich und glimmte sekundenlang. Arkadi litt erstaunlicherweise mit, als werde die Glut auf seiner Brust ausgedrückt. Er glaubte Irina Asanowa.
    Arkadi nahm einen neuen Anlauf. »Genossin Asanowa, ich weiß gar nicht, warum ich diesen Fall noch bearbeite. Ich will ihn nicht; ich sollte ihn längst abgegeben haben. Aber drei Menschen sind ermordet worden, und ich verlange von Ihnen nur, dass Sie mitkommen und sich die Leichen ansehen. Vielleicht erkennen Sie die Kleidungsstücke oder … «
    »Nein.«
    »Sie sollen sich nur davon überzeugen, dass es sich nicht um Ihre Freunde handelt. Wollen Sie das denn nicht?«
    »Ich weiß, dass sie’s nicht sind.«
    »Wo sind sie denn?«
    Irina Asanowa schwieg. Arkadi lachte unwillkürlich, denn plötzlich ging ihm auf, wie dumm er gewesen war. Er hatte sich die ganze Zeit gefragt, was Osborne von zwei Russen gewollt haben könnte, anstatt zu überlegen, was sie von ihm gewollt haben könnten.
    »Wo sind sie Ihrer Meinung nach?« fragte er.
    Er spürte, dass sie den Atem anhielt.
    »Kostja und Valeria sind aus Sibirien geflüchtet«, beantwortete Arkadi seine eigene Frage. »Für einen Banditen wie Kostja, der gestohlene Aeroflot-Flugscheine hatte, war das kein Problem. Arbeitspapiere und eine gefälschte Aufenthaltserlaubnis für Moskau kann man kaufen, wenn man Geld genug hat, und Kostja hatte genug Geld. Aber Moskau ist nicht weit genug von Sibirien entfernt. Kostja wollte außer Landes gehen. Und das ist unmöglich. Andererseits jedoch wurde er zusammen mit einem Amerikaner ermordet, dessen Wiedereinreise nirgends vermerkt ist.«
    Irina Asanowa wich zurück und stand nun in den letzten Strahlen der Abendsonne.
    »Tatsächlich geben Sie nur aus diesem Grund überhaupt zu, die beiden gekannt zu haben«, stellte der Chefinspektor fest. »Ich weiß, dass sie im Gorki-Park ermordet worden sind, aber Sie bilden sich ein, sie seien lebend ins Ausland gelangt. Sie glauben, dass Kostja und Valeria die Flucht geglückt ist.«
    Die junge Frau lächelte triumphierend.
    Taucher wühlten das schlammige Wasser der Moskwa auf. Unterwasserscheinwerfer rasselten an Ketten zu ihnen hinunter. Milizionäre schoben Eisschollen mit Stangen von der Kaimauer zurück, während die Taucher das Flussbett im Bereich der Abwasserrohre der Gorki-Gerberei absuchten.
    Oben auf der Kaistrasse regelten Milizionäre den vorbeifließenden nächtlichen Verkehr, der nur aus vereinzelten LKWs bestand. Arkadi trat an seinen Dienstwagen, auf dessen Rücksitz William Kirwills vierschrötige Gestalt nur undeutlich auszumachen war.
    »Ich verspreche Ihnen nichts«, sagte Arkadi. »Sie können in Ihr Hotel zurückfahren - oder zu Ihrem Botschafter gehen.«
    »Danke, ich bleibe vorerst hier.« Kirwills Augen glitzerten im Halbdunkel.
    Arkadi zeigte ihm einen dicken Umschlag. »Hier sind die Autopsieberichte über die drei im Gorki-Park aufgefundenen Leichen«, sagte er. Nach einem Tag Bedenkzeit musste Kirwill zu dem Schluss gekommen sein, Arkadi sei zu ahnungslos, um ein KGB-Offizier zu sein.
    »Zeigen Sie her!« Kirwill griff danach.
    »Wer war James Kirwill?« fragte Arkadi.
    »Mein Bruder.«
    Arkadi reichte ihm den Umschlag ins Auto; damit war ihr erster Handel perfekt. Der Name Osborne kam in diesen Unterlagen nicht vor. Wenn William Kirwill nur bei den Ermittlungen hätte helfen wollen, dann hätte er das Zahnschema und das Röntgenbild schon am ersten Tag seines Aufenthalts in Moskau abgegeben. Aber William Kirwill hatte eine Waffe mitgebracht: das bedeutete, dass er nur verhandlungsbereit war, solange er nicht wusste, wen er angreifen sollte. Dass er seine Pistole nicht mehr hatte, spielte keine Rolle. Er hatte seine Hände.
    Ein Beamter der Flusspolizei meldete Arkadi, die Taucher seien halb erfroren und hätten bisher nichts gefunden. Als der Chefinspektor an die Kaimauer trat, wurde er

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