Gorki Park
lange in mir gewesen bist.«
Über und unter ihnen konnten Lauscher sein; die Angst machte sie nur empfänglicher für alle Empfindungen.
»Du täuschst dich, was Valeria betrifft«, sagte sie. »Valeria hat nirgends eine Zuflucht gehabt. Das hat Osborne gewusst.« Sie strich sein Haar glatt. »Glaubst du mir?«
»Das mit Valeria ja, alles andere nicht.«
»Was glaubst du mir nicht?«
»Du weißt, was Valeria und Kostja für Osborne getan haben.«
»Ja.«
»Das hab ich dir gekauft.« Er ließ das Kopftuch auf sie herabgleiten.
»Warum?«
»Als Ersatz für das andere, das du in der U-Bahn verloren hast.«
»Ich brauche ein neues Kleid und einen Mantel und Schuhe, kein Kopftuch.« Sie lachte.
»Ich konnte mir bloß ein Kopftuch leisten.«
Sie betrachtete es und versuchte, die Farben in der Dunkelheit zu erkennen. »Es ist bestimmt ein wunderschönes Kopftuch«, sagte sie.
»Es spielt keine Rolle, wie lächerlich eine Lüge ist, wenn die Lüge die einzige Möglichkeit zur Flucht ist«, sagte sie. »Und es spielt keine Rolle, wie offenkundig die Wahrheit ist, wenn sie bedeutet, dass dir die Flucht niemals gelingen wird.«
Am Telefon hatte Mischas Stimme einen panischen Unterton. Arkadi zog sich widerstrebend an. Irina schlief noch. Ihr Arm lag quer über dem Bett, wo er geschlafen hatte.
»Ich muss mich mit einem Freund treffen. Aber zuerst fahren wir woanders hin«, sagte Arkadi, als William Kirwill in seinen Wagen stieg.
»Ich bin nur noch vier Tage hier und hab gestern den ganzen Tag vergeblich auf Sie gewartet«, knurrte der Amerikaner. »Heute sagen Sie mir, wer Jimmy ermordet hat, sonst bring ich Sie um!«
Arkadi lachte, während er vom Hotel Metropol aus um den Swerdlow-Platz fuhr. »In Russland müssen Sie auch dafür Schlange stehen.«
In Serafimow zwei stiegen sie in den ersten Stock hinauf. Zu Arkadis Überraschung war die Wohnungstür nicht versiegelt. Als er klopfte, öffnete ihnen eine zahnlose Alte mit einem greinenden Säugling auf dem Arm. Die Frau studierte Arkadis Dienstausweis mit zusammengekniffenen Augen.
»Ich dachte, diese Wohnung sei versiegelt«, erklärte er ihr. »Vor einer Woche sind hier zwei Männer gestorben - der Mieter und ein Kriminalbeamter.«
»Ich bin nur eine Großmutter. Davon weiß ich nichts.« Sie sah von Arkadi zu Kirwill hinüber.
»Warum sollte eine schöne Wohnung leer stehen? Wohnungen werden immer gebraucht.«
Auf den ersten Blick erinnerte nichts mehr daran, dass hier Feodor Golodkin gewohnt hatte. Die Orientteppiche, die Stereoanlage und die Stapel ausländischer Kleidungsstücke des Schwarzhändlers waren verschwunden. Statt dessen standen da jetzt eine als Bett benutzte Ausziehcouch, ein aufgeplatzter Karton mit Geschirr und ein alter Samowar. Pascha und Golodkin hätten in einer ganz anderen Wohnung ermordet worden sein können.
»Haben Sie hier einen Schrein gefunden?« fragte Arkadi. »Vielleicht im Kellerabteil? Einen vergoldeten Kirchenschrein?«
»Wozu brauchen wir einen Kirchenschrein? Was täten wir damit?«
Die Alte trat zur Seite. »Sie können sich selbst umsehen. Hier wohnen ehrliche Leute, wir haben nichts zu verbergen.«
Arkadi winkte dankend ab. »Sie haben völlig recht«, stimmte er zu. »Warum sollte eine schöne Wohnung leer stehen?«
Mischa und Arkadi trafen sich in einer kleinen Kirche am Rande von Serafimow. Sie war nach irgendeinem obskuren Heiligen benannt und gehörte zu den vielen Moskauer Kirchen, die schon längst nur mehr als »Museen« existierten. Ein rostiges Baugerüst umgab die vom Verfall bedrohten wasserfleckigen Mauern. Arkadi stieß die Tür auf, betrat den dunklen Kirchenraum und sah vor sich Pfützen und Vogelmist auf dem Steinboden, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel. Ein Streichholz flammte auf und entzündete eine Kerze, die Mischas Gesicht beleuchtete. Regenwasser tropfte von den Pfeilern. In den mit Brettern verschalten Fenstern der dunklen Kuppel gurrten Tauben.
»Du kommst früh«, stellte Mischa fest.
»Ist was mit Natascha? Warum haben wir uns nicht bei dir treffen können?«
»Du bist eine halbe Stunde zu früh gekommen.«
»Du aber auch. Was ist passiert?«
Mischa benahm sich seltsam, war ungekämmt und schien im Anzug geschlafen zu haben. Arkadi war froh, dass er Kirwill dazu überredet hatte, draußen im Auto zu bleiben. »Geht’s um Natascha?«
»Nein, um Sonja. Ihr Anwalt ist mit mir befreundet, und ich habe gehört, was sie vor Gericht ausgesagt hat. Du weißt doch, dass
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