Gorki Park
über deine Scheidung morgen verhandelt wird?«
»Nein.« Arkadi war nicht überrascht. Die Nachricht ließ ihn kalt. »Alle reden über die Partei wie du - aber doch nicht, damit ihre Äußerungen vor Gericht zitiert werden! Ausgerechnet du als Chefinspektor! Und was ist mit mir?« fragte Mischa. »Was hast du alles über mich erzählt? Das hat sie auch alles ausgesagt. Das kostet mich mein Parteibuch! Ich bin als Rechtsanwalt erledigt, ich kann mich bei Gericht nicht mehr blicken lassen.«
»Tut mir leid, Mischa.«
»Na ja, du bist eben nie ein gutes Parteimitglied gewesen. Ich hab mich immer bemüht, deine Karriere zu fördern, aber du wolltest einfach nicht. Jetzt musst du mir helfen. Sonjas Anwalt trifft sich hier mit uns. Du musst ihm gegenüber leugnen, jemals in meiner Anwesenheit kritisch über die Partei gesprochen zu haben. Vielleicht in Sonjas Gegenwart, aber nicht in meiner. Es geht um sie oder mich. Du musst einem von uns helfen.«
»Dir oder Sonja?«
»Bitte, Arkascha, du bist doch mein Freund.«
»Ich hätte gesagt, mein bester Freund. Hör zu, du weißt doch, dass bei Scheidungsprozessen alles mögliche behauptet wird, was kein Mensch ernst nimmt. Jetzt ist’s zu spät.«
»Tust du mir diesen Gefallen?«
»Gut, sag mir, wie er heißt, dann rufe ich ihn an.«
»Nein, er ist schon unterwegs, wir treffen uns hier.«
»Hat er denn kein Büro und kein Telefon?«
»Er ist jetzt nicht erreichbar, weil er unterwegs ist.«
»Und wir wollen uns hier in einer Kirche treffen?«
»In einem Museum«, verbesserte Mischa ihn. »Na ja, er wollte nicht, dass bekannt wird, dass er sich mit dem Ehemann einer Mandantin trifft. Das tut er ohnehin nur, um mir einen Gefallen zu erweisen.«
»Aber ich hab keine Lust, noch zwanzig Minuten auf ihn zu warten.« Arkadi dachte an Kirwill, der draußen in seinem Wagen saß.
»Er kommt schon früher, ich versprech’s dir! Ich würde dich nicht darum bitten, wenn’s nicht nötig wäre.« Mischa umklammerte Arkadis Arm. »Du bleibst doch?«
»Gut, ich warte noch.«
»Er kommt bestimmt bald.«
Arkadi lehnte an einem Pfeiler, bis er merkte, dass ihm Regenwasser in den Kragen tropfte. Er zündete sich eine Zigarette an Mischas Kerze an und machte einen kurzen Rundgang durch das leere Kirchenschiff. Je länger er sich in der Dunkelheit aufhielt, desto deutlicher konnte er Einzelheiten erkennen: Figuren an den Wänden, viele davon Engel, mit schmalen Flügeln und großen Flammenschwertern. Der Altar war verschwunden. Herausgerissene Grabplatten hatten Löcher im Boden hinterlassen.
Er kam zu Mischa zurück. Im Kerzenschein war zu erkennen, dass Mischa schwitzte, obwohl es in der Kirche kalt war. Arkadi sah, dass sein Freund die schwach bläulichen Umrisse der Tür beobachtete.
»Hierher kommt kein Rechtsanwalt«, stellte Arkadi fest.
»Er ist unterwegs und … «
»Diesen angeblichen Anwalt gibt’s gar nicht.«
Arkadi zündete sich eine neue Zigarette am Stummel der ersten an. Mischa blies die Kerze aus, aber Arkadi sah ihn trotzdem noch. Sie beobachteten beide die Tür.
»Ich hätte nie gedacht, dass du mich verraten würdest«, sagte Arkadi. »Jeder andere, nur du nicht.« Eine Minute verstrich. Mischa schwieg. »Mischa«, seufzte Arkadi. »Mischa … «
Er spürte jetzt überall Tropfen. Draußen schien es stärker zu regnen.
In dem schwachen Lichtschein, der durch die zugenagelten Fenster drang, starrte Mischa ihn flehend an. Tränen liefen ihm übers Gesicht. »Lauf!« flüsterte er.
»Wer kommt wirklich?« fragte Arkadi.
»Beeil dich, sie stehlen den Kopf!«
»Wie haben sie von dem Kopf erfahren?«
Arkadi glaubte Schritte zu hören. Er trat seine Zigarette aus, wich an die Wand zurück und zog seine Pistole. Mischa blieb stehen und lächelte schwach. Eine Taube badete in dem gesprungenen Taufstein.
Sie schüttelte das Wasser ab und flog mit klatschendem Flügelschlag auf.
»Du kommst doch allein zurecht?« fragte Arkadi. »Ich rufe später an.«
Mischa nickte.
Arkadi schob sich die Wand entlang und öffnete vorsichtig die Tür. Ein heftiger Aprilschauer ließ ganze Bäche über das Baugerüst rinnen und trieb die wenigen Fußgänger unter Schirme und Zeitungen. Kirwill wartete sichtlich ungeduldig im Auto.
Arkadi rannte los.
Die Kaistrasse war überschwemmt, so dass er eine Umleitung durch den Gorki-Park fahren musste. Als er das ethnologische Institut erreichte, fuhr eben ein schwarzer Wolga aus dem Hof. Arkadi erkannte den Fahrer sofort
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