Gotland: Kriminalroman (German Edition)
fussligen Sitze im Haustierbereich wieder; schwermütig, enttäuscht und erschöpft, weil sie innerhalb weniger Tage zweimal über die Ostsee fahren musste.
Aber nun war es wirklich anders. Mama war nicht mehr da. Ermordet. Papa war auch weg. Aus irgendeinem Grund sah sie ihn auf einem großen Schiff in weiter Ferne. Auf der Flucht, aber zufrieden.
Langsam setzte sie sich auf. In Rickys Arbeitszimmer gab es ein Bett, aber der Raum war ihr schon immer deprimierend kahl vorgekommen. Sie schlief lieber auf dem Sofa im Wohnzimmer.
Nun hatte sie nur noch sich selbst. Und natürlich Ricky, auch wenn er nicht immer eine große Hilfe war. Entschuldige bitte, dachte sie sofort, ich habe es nicht so gemeint. Sie liebte Ricky. Und er half ihr. Gestern hatte er sich um sie gekümmert. Der Gedanke daran gab ihr das Gefühl, dass es trotz allem etwas gab, das überlebt hatte.
Draußen wurde es hell. Bläuliches Licht fiel herein. Sie zog sich die Decke um die Schultern und ging barfuß über den kalten Boden zum Fenster. Sie blickte in den kleinen Garten, der ohne Begrenzung in das große Grundstück von Rickys Vermieter überging. Links dagegen verlief ein elektrischer Zaun um eine gut gepflegte Weide, auf der graue und schwarze Lämmer reglos wie gestutzte Wacholderbüsche im Sonnenaufgang standen. Dann entdeckte sie ihre schwarze Prada-Tasche und den zertrampelten Weinkarton mitten auf dem Rasen.
Eilig zog sie sich an, steckte die Füße in ein sieben Nummern zu großes Paar Stiefel im Flur und ging hinaus, um ihre Sachen zu holen. Draußen war es warm, und von Westen blies ein für diese Jahreszeit lauer Wind.
Sie hängte sich die Tasche über die Schulter und nahm den Weinkarton auf. Die Tüte vom staatlichen Weinhandel hatte der Wind weggeweht.
Elin richtete sich auf. Es sagte etwas über den gestrigen Tag aus, dass sie den Wein und die Tasche im Garten vergessen hatte. Sie straffte die Schultern und drehte sich langsam nach links. Vor dem Nachbarhaus stand eine Frau und glotzte sie an. Elin winkte ihr mit der freien Hand zu, drehte sich um und ging schnell zurück zur Haustür. Sie hatte keine Kraft, Fragen zu beantworten, deren Inhalt sie sich in etwa vorstellen konnte. Zunächst Anteil nehmend, dann immer neugieriger bohrend.
Mit schlackernden, polternden Stiefeln an den Füßen rettete sie sich ins Haus, streifte die Stiefel ab und stellte den Weinkarton auf die Bank im Flur. Vor dem schmalen Spiegel hielt sie inne und betrachtete sich. Sie fühlte sich älter als gestern Abend, aber es war nicht zu sehen. Sie beugte sich nach vorn und studierte sorgfältig ihr Gesicht. Eine Sofanaht hatte auf ihrer Wange einen Abdruck hinterlassen. Sie strich mit dem Finger darüber.
Der Polizist, mit dem sie am vergangenen Abend gesprochen hatte, wollte sich melden. Er hatte gesagt, wenn sie weitere Drohungen erhielten, sollten sie ihn anrufen. Falls sie ihn nicht erreichten, könnten sie auch 112 wählen. Er hatte sich sympathisch, aber müde angehört, seine Stimme klang undeutlich. Nachts sei es das Beste, 112 zu wählen, hatte er hinzugefügt. Sie wollte sich entschuldigen, doch er fiel ihr ins Wort, es sei schon in Ordnung. Er sprach ihr sein Beileid aus und sagte dann, dass er einige Fragen an sie habe, die aber besser bis morgen warteten.
Und nun war morgen. Sie ging in die Küche, stellte die Tasche auf den schwarzen Tisch und schenkte sich ein großes Glas Wasser ein. Sie hatte Durst und leerte das Glas mit wenigen Schlucken. Hunger hatte sie allerdings nicht.
Ihr Blick fiel auf die Tasche, die in sich zusammengesunken war wie ein durchlöcherter Wasserball. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie sie nicht mehr brauchte. Sie konnte sie wegwerfen, an Oxfam verschenken oder bei eBay verkaufen. Es gab niemanden mehr, dem zuliebe sie dieses Angeberaccessoire mit sich herumschleppen musste. Natürlich war Papa irgendwo, aber seinetwegen hätte sie die Tasche nie benutzt, auch wenn er sie ihr geschenkt hatte. Mama zuliebe hatte sie die Tasche mitgenommen, denn Mama war der Meinung gewesen, sie sollte sie Papa zuliebe tragen.
»Und trotzdem ist es nur eine Tasche«, sagte sie leise zu sich selbst und packte den Inhalt langsam auf den Tisch.
Er war aufgedreht wie ein Duracell-Kaninchen und hatte kaum geschlafen. Beppo schnarchte noch im Schlafzimmer, als er sich die Nase am Küchenfenster platt drückte und auf den Parkplatz vor dem Konsum-Markt hinausspähte. Hemse City. Draußen war es hell, und es waren schon Leute
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