Gotland: Kriminalroman (German Edition)
hilft.«
»Und der rast los, aber leider läuft es dann nicht so gut?«
»Genau. Oder Arvid hat seinen Cousin unter irgendeinem Vorwand zu sich gelockt, vielleicht um ihn zur Rede zu stellen.«
»Könnte sein, aber es passt nicht zum Zustand der Leiche. Ich meine, könnte er wirklich zunächst so berechnend gewesen sein, um dann völlig die Kontrolle zu verlieren und aus seinem Cousin Hackfleisch zu machen?«
»Nein, da hast du recht.«
»Außerdem scheinen sie keinen Kontakt gehabt zu haben.«
Fredrik bog von der Landstraße ab und legte in der Dunkelheit routiniert die letzten kurvigen Kilometer bis zu seinem Grundstück zurück. Sie rumpelten über den Rasen vor dem alten Hof. Die Fenster leuchteten einladend, und im ersten Stock flimmerte ein Fernseher.
Dem Ziel so nah, wurden sein Hunger und die Müdigkeit plötzlich noch größer.
Doch da waren auch noch die Fußabdrücke vor dem Fenster und die beiden schwarzen Haare, dachte Fredrik, als er am Küchenfenster mit dem neuen Außenthermometer vorbeiging, das Ninni kürzlich dort angeschraubt hatte. Weder die Abdrücke noch die Haare waren von Arvid Traneus. Sie mussten natürlich nichts mit dem Mord zu tun zu haben. Jeder hätte sie hinterlassen können, vielleicht einer dieser Festlandschweden, die auf der Suche nach Ferienhäusern herumschnüffelten und den Leuten ungeniert Zettel mit Phantasiegeboten in die Briefkästen steckten.
Fredrik fasste an die Klinke. Die Tür war abgeschlossen. Er hatte sich nicht getäuscht. Normalerweise schlossen sie erst ab, wenn sie ins Bett gingen, aber bei jedem neuen Fall verriegelte Ninni die Tür, bis der Mörder gefasst war. Das war kein Wunder, wenn man bedachte, was ihr in ihrem ersten Sommer auf der Insel zugestoßen war. Insofern war es erstaunlich, dass sie noch nicht auf einer Alarmanlage und vergitterten Fenstern bestand.
»Hallo«, rief er in den Hausflur.
»Wir sitzen hier«, hörte er Ninnis Stimme aus der Küche.
Göran Eide öffnete eine Flasche Ramlösa und schenkte ein Duralex-Glas voll. Die Kohlensäurebläschen prickelten an seinem Kinn. Er leerte das Glas mit wenigen Schlucken und goss sich den Rest aus der Flasche ein.
Sonja schlief schon. Er hatte sie mit einem Buch in den Händen, der Brille auf der Nase, im Licht der Leselampe auf dem Bett gefunden, als er vor fünf Minuten nach Hause gekommen war.
Er hatte das Licht gelöscht und ihr das Buch abgenommen.
Der letzte Schluck Ramlösa rann seine Kehle hinunter. Er nahm noch eine Flasche aus dem Kühlschrank und aß zwei Käsekräcker.
Er sah aus dem Fenster in das herbstliche Dunkel von Ekeby. Es fiel ihm schwer, den Anblick der beiden Mordopfer zu vergessen. In all seinen Jahren bei der Polizei hatte er viel Abscheuliches gesehen. Mit der Beklemmung und dem Ekel konnte er seit Langem umgehen. Aber der wahnsinnige Zorn, der diesen Mörder angetrieben hatte, ließ ihn nicht los. Dass das Leben einen Menschen so deformieren konnte, dass er einem Mitmenschen so etwas antat. Jemanden zu töten war das eine – oft handelte es sich um Unglücksfälle, oder zumindest ereigneten sich viele Morde ohne wirkliche Absicht –, aber manchmal war es mehr als das. Manchmal waren brennender Hass und der Wunsch, jemandem so viel Leid wie möglich anzutun, die Triebfedern.
Er setzte sich an den Küchentisch und stellte die Flasche und das Glas ab. Die dunkle Holzplatte war tadellos sauber. Keine Brotkrume, kein Kaffeefleck, aber mittlerweile vermisste er manchmal die Krümel. Sein Leben mit Sonja war so geordnet. Vor zwei Wochen war ihre jüngste Tochter dreißig geworden. Sie war jetzt erwachsen. Er fand natürlich trotzdem, dass sie sich meistens wie ein Teenager benahm, aber er musste zugeben, dass sie das schon seit zehn Jahren nicht mehr war. Ein seltsames Gefühl. Der Sohn hatte sein Lehramtsstudium unterbrochen. Göran konnte ihn verstehen. Wie soll man sich motivieren, einen Beruf zu erlernen, den man gar nicht richtig will.
Er strich über die Tischplatte. Schlechte Augen und zittrige Hände bekommt man früh genug, dann kommen die Brotkrumen wieder. Aber nicht das Leben.
Auf der blanken Tischplatte vibrierte das Handy.
»Hallo, mein Name ist Elin Traneus«, sagte eine ängstliche Stimme.
»Dann war es wohl der Ehemann, dieser Arvid. Ist es nicht fast immer so?« Lenas Frage klang eher wie eine Feststellung.
Sie saßen immer noch in der Küche im Erdgeschoss. Es war eine alte Bauernküche mit tiefen Fensternischen und breiten
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