Gotland: Kriminalroman (German Edition)
unterwegs.
Die Wohnung hatte zwei Zimmer und sah aus wie ein Schweinestall. Leere Bierdosen, Schnapsflaschen und dreckige Klamotten neben hoffnungslos veralteten elektronischen Geräten, die Beppo vermutlich geklaut hatte. Das Spülbecken war randvoll mit Geschirr, der Fußboden voller Sand und eingetrockneter Flecken. Nicht, dass er ein Pedant gewesen wäre, aber in dreieinhalb Jahren Gefängnis hatte er sich, gewollt oder ungewollt, an eine gewisse Ordnung gewöhnt.
Beppo und er waren seit der vierten Klasse zusammen zur Schule gegangen und hatten auch später immer Kontakt gehalten. Sporadisch zwar, aber immerhin.
Er steckte sich eine Zigarette an und beschloss, Zeitungen kaufen zu gehen. Am vorigen Abend hatte er die Nachrichten gesehen: »Auf einem Gutshof im Süden von Gotland wurden am Freitagmorgen eine Frau und ein Mann getötet aufgefunden. Bislang hat die Polizei zu den Umständen der Mordfälle keine näheren Angaben gemacht.«
Er und Beppo hatten die Nachricht immer wieder abgespult. Was sich alles tut, wenn man einige Jahre weg ist! Der Gotlandkanal im digitalen Fernsehen, hatte er gedacht.
Beppo war ganz stolz darauf gewesen, dass er einen Digitalreceiver für vierhundert Kronen ergattert hatte. Und er hatte so getan, als wäre er beeindruckt. Was für ein Scheiß.
Womit beschäftigte sich der Typ? Digitalreceiver in Hemse, eine totale Sackgasse.
Er wollte sich gerade eine Kippe anzünden, als er merkte, dass er bereits eine brennende im Mund hatte. Er legte sie ganz außen auf die Tischkante, zwängte sich in die Jacke seines Trainingsanzugs und zog den Reißverschluss bis obenhin zu.
Auf dem Weg zur Tür fiel sein Blick auf Beppos Kapuzenjacke, die an einem Plastikhaken hing. Er zog sie über den Trainingsanzug und setzte die Kapuze auf. Er war nicht scharf darauf, Bekannte zu treffen. In Hemse war er zwar schon seit vielen Jahren nicht mehr gewesen, weil er die Insel, schon lange bevor man ihn einbuchtete, verlassen hatte, aber im Großen und Ganzen lebten hier noch dieselben Leute wie früher, und viele würden ihn wiedererkennen. Und einige von ihnen würden versuchen, ein bisschen zu rechnen.
Auf dem Weg nach unten nahm er den letzten Zug von der Zigarette. Die Kippe ließ er in den Fußabtreter vor der Haustür fallen. Dann stopfte er sich die langen Haare unter die Kapuze.
Er hatte sie während der ganzen Zeit im Gefängnis lang getragen. Viele schnitten ihre Haare kurz oder rasierten sie ganz ab, aber er war stur geblieben. Im ersten Monat war er an einer Prügelei beteiligt gewesen. Er hatte nicht damit angefangen, und eigentlich wäre die Schlägerei auch nicht der Rede wert gewesen, aber der Typ, der ihn angegriffen hatte, wusste sich irgendwann nicht mehr anders zu helfen, als ihm ein großes Haarbüschel auszureißen. Die feige Sau.
Drei Tage später sah er den Penner ein Stück weiter vor sich in der Essensschlange stehen, und als der Typ gerade seine Portion entgegennahm, schlich er sich von hinten an und rammte ihm eine Gabel in den Hintern. Der brüllte wie ein angeschossener Moschusochse.
Er selbst bekam einige Tage Arrest, aber danach zog nie wieder jemand an seinen Haaren.
Unter den beiden Jacken wurde ihm heiß, aber er musste nicht weit gehen. Nur quer über die Straße zur Hemse-Galleria. Im Tabakladen kaufte er Dagens Nyheter und Gotlands Trafik . Vor ihm war eine grauhaarige alte Tante an der Reihe.
»Mein Gott, das ist ja grauenvoll!« Sie wedelte mit der Zeitung vor der Nase des Tabakhändlers herum. »Das ist gleich hier um die Ecke.«
Der Tabakhändler nickte. Er war ein großer kräftiger Kerl, der den Laden anscheinend übernommen hatte.
»Aber das Unglück trifft Arme und Reiche gleichermaßen«, sagte die Alte. Sie brauchte unendlich lange, um ihr Wechselgeld ins Portemonnaie zu stecken. »Allerdings weiß ich nicht, ob die da so glücklich waren. Auf so einem großen Gutshof …«
Seufzend ließ sie ihre Bemerkung im Raum stehen. Der Tabakverkäufer sah ihn an. Er legte seine Zeitungen auf den Tresen.
Als er den Laden verließ, wurde gerade die Stahlwand mit der Flaschentapete an dem breiten Eingang des Systembolaget, der staatlichen Weinhandlung, hochgezogen. Er spähte in den Laden, überlegte einen Moment und beschloss dann, dass er nicht wie ein Idiot herumstehen konnte, und ging hinein.
Es gab noch etwas, was er sich vor seiner Entlassung geschworen hatte, er wollte es mit dem Alkohol nicht mehr übertreiben. Es war also der zweite Schwur, den
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