Gotland: Kriminalroman (German Edition)
glaube, er fühlt sich am wohlsten, wenn er hierbleiben darf«, sagte Sofia Traneus-Helin.
Sie zog mit dem Kinderwagen los. Erst als sie um die Ecke verschwunden war, wurde Fredrik bewusst, dass sie von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet war. Machten die Leute das mittlerweile so, oder war es Zufall?
Vor ihnen am Küchentisch saß nicht mehr derselbe Rune Traneus wie gestern. Er wirkte zwar kleiner, aber vollkommen ruhig, kein bisschen verwirrt und höchst ansprechbar.
»Wir müssen Ihnen einige Fragen zu Anders’ Lebensumständen stellen«, begann Gustav. »In einem Fall wie diesem muss man sich ein detailliertes Bild von den innerfamiliären Beziehungen machen, auch wenn sie lange zurückliegen. Sie sind wohl derjenige, der uns darüber am meisten erzählen kann.«
»Möglich. Ja, das mag sein«, murmelte Rune Traneus.
Gustavs Plan bestand darin, das Gespräch so wenig wie möglich zu steuern und sich die Wut des Alten zunutze zu machen. Auch wenn er nun weder schrie noch tobte oder wild um sich schlug, so mussten sich doch der Zorn und Hass auf Arvid Traneus noch irgendwo in ihm verbergen. Diese Quelle wollte er anzapfen.
»Als Sie gestern zum Gutshof Ihres Neffen kamen, schienen Sie überzeugt davon zu sein, dass Sie Anders dort finden würden. Irgendetwas sagt mir, dass Sie sich bereits sicher waren, bevor Sie sein Auto gesehen hatten.«
Gustav sah, wie die Augen des alten Mannes aufblitzten, als er sich im Geiste wieder an den Tatort begab. Fang bloß nicht wieder damit an, dass Arvid der Teufel ist, dachte er. Doch Rune Traneus konnte es offenbar nicht lassen.
»Ich weiß, dass ich mich gestern nicht im Griff hatte«, sagte er, »aber ich habe es so gemeint, wie ich es gesagt habe. Dieser Mann ist der Teufel. Arvid Traneus ist der Satan persönlich.«
Die letzten Worte stieß er mit unverhohlener Abscheu hervor. Etwas von der Glut des vergangenen Tages ließ sich noch in ihnen erahnen, aber er hielt sein Temperament im Zaum. Er sprach eher zu sich selbst als zu Fredrik und Gustav, es klang wie eine Beschwörungsformel.
So weit, so gut, dachte Gustav.
»Geht es auch konkreter?«
»Bei diesem Mann weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll.« Rune zwirbelte eine seiner buschigen Augenbrauen.
»Wenn Sie von Anders ausgehen – wie war das Verhältnis von Anders zu seinem Cousin und Kristina?«
»Ich weiß schon, was Sie interessiert, aber es ist trotzdem nicht einfach, den Anfang zu finden. Ich ahnte etwas, und das machte mich … Es lässt sich nicht beschreiben.«
Rune Traneus strich sich mit der Hand über den Mund und schüttelte den Kopf. Die Muttermale in seinem Gesicht waren groß wie Rosinen, und die Augen sahen irgendwie bleich und verwässert aus. Er war ein alter Mann, und sein Alter schien auf einmal eine schwere Bürde für ihn zu sein.
»Was soll man tun? Anders war schließlich ein erwachsener Mann.« Rune machte eine heftige Geste mit der Hand, die er sich eben noch auf den Mund gelegt hatte. »Man kann doch nicht … Es ist nicht leicht, sich einzumischen.«
»Was haben Sie denn geahnt?«, fragte Gustav.
»Er war plötzlich so beschäftigt, ging nicht mehr ans Telefon, und wenn man ihn fragte, wo er hinwolle, bekam man keine richtige Antwort. Er verhielt sich wie in seiner Kindheit, wenn er eine Dummheit angestellt hatte. Ich kannte das. Zuerst dachte ich, er hätte eine Neue kennengelernt, damals, nach Inger, und wollte nicht darüber reden. Das kann man ja verstehen, wenn die Sache noch ganz frisch ist und noch nichts Festes.«
Rune machte eine Pause und atmete fast ein bisschen keuchend, als stelle das Erzählen eine physische Anstrengung für ihn dar.
»Dann war er eines Tages bei mir zu Hause; irgendetwas in seinem Blick war anders, es lag eine Unruhe darin, die ich lange nicht gesehen hatte. Schlagartig kam mir der Gedanke: O Gott, vielleicht hat er was mit Kristina! Bevor ich darüber nachdenken konnte, rutschten mir die Worte heraus. ›Hast du was mit Kristina?‹ Er schwieg lange, ohne mich anzusehen. Dann sagte er: ›Nein.‹ Nichts weiter. Nur wenn er mir die Wahrheit ins Gesicht gesagt hätte, wäre ich mir noch sicherer gewesen.«
»Aber das hat er nie getan?«, fragte Gustav.
»Nein. Sonst hätte ich ihm wahrscheinlich meine Meinung gesagt, trotz seines Alters. Ich hatte ihn direkt gefragt, und er hatte Nein gesagt. Mehr konnte ich nicht tun.«
Er keuchte wieder.
»Ich wusste, dass es kein gutes Ende nehmen konnte, aber dass es so ausgehen würde …«
Er
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