Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
sitzen müsste: die fünfzigjährige Schwuchtel, die im Body herumhüpft und Madonna-Songs winselt, der nervös eine Eagles-Nummer stammelnde Kinderschänder, die jodelnde Hundertfünfzig-Kilo-Hausfrau. Dann würden sie sich allmählich auf spezifische Charaktere konzentrieren, die sich grob drei Gruppen zuordnen ließen. 1) Die wenigen mit echtem Talent und dem entsprechenden Aussehen, die definitiv weiterkommen. 2) Jene, die zwar Talent besitzen, aber mit Gewichtsproblemen, Schielaugen, scheunentorgroßen Pferdezähnen und blühender Akne zu kämpfen haben. Also diejenigen, die vielleicht durchkommen würden, weil ihre Lebensgeschichten ausreichend Herzschmerz und Drama zu bieten haben: Dialyse und Armut. Kaputte Familie und Waisenhaus. Vermisste Eltern und verlorene Kindheit. Was vielleicht für die Zuschauer funktioniert – die Pisser, um den von Stelfox eingeführten Branchenterminus zu verwenden -, denn das Produktionsteam hat natürlich längst entschieden, wer durchkommt. Dann gibt es noch 3) die kleinere, exklusivere Gruppe, der auch Jesus angehört und die sich aus Leuten zusammensetzt, die attraktiv und talentiert sind und unübersehbar nicht mehr alle Nadeln an der Tanne haben.
In der großen Garderobe, in der die Atmosphäre eines Wartesaals herrscht, kann Jesus das Gelächter der Zuschauer
im Studio hören, denen gerade Aufnahmen aus den Castings gezeigt werden. Gedankenverloren spielt er ein paar Töne auf seiner Gibson und sieht sich um. Etwa zwanzig Kandidaten sind hier eingepfercht. Sie sind allesamt nervös, laufen herum, trällern Tonleitern, machen Aufwärmübungen und haben sich in ihre besten Klamotten geschmissen - jeder mustert jeden, manche unverhohlen hasserfüllt.
Alle außer Jesus natürlich, der zu seinem seligen Lächeln, den zerrissenen Jeans und den Turnschuhen ein frisch gewaschenes, ausgeblichenes Mogwai-T-Shirt trägt, das er sich am Morgen von Becky leihen musste, die als Einzige daran gedacht hatte, im Hotel ein paar Sachen durchzuwaschen. Ein großer, schwarzer Junge quetscht sich an Jesus vorbei und lässt sich in der Ecke nieder, schwitzend und zitternd. Es sieht aus, als wollte er in der Nähe des Waschbeckens bleiben, als müsste er sich gleich übergeben. Er ist massig, bestimmt hundertzwanzig Kilo. »Hey, alles okay?«, fragt Jesus.
Der Junge schüttelt den Kopf. »Mann, ich kann es kaum erwarten, dass das hier vorbei ist.«
»Wieso machst du dann überhaupt mit?«, fragt Jesus nicht unfreundlich.
»Will meiner Familie helfen.« Der Junge zuckt mit den Achseln.
»Wie heißt du?«
»Garry.«
»Jesus.« Sie reichen sich die Hände: JCs Hand kühl und trocken, Garrys ein vibrierender Waschlappen.
»Wie der in der Bibel?«
»Wie der in der Bibel. Hör mal. Keine Sorge, Kleiner. Was kann dir schon passieren?«
»Dass sie mich nicht mögen.«
»Scheiß drauf. Ich mag dich.«
Eine junge Frau mit Headset und Klemmbrett kommt hereingestürmt. »Jesus?«, sagt sie. »Jesus Christus?«
»Das bin ich.« Als er aufsteht und sich seine Gitarre auf den Rücken schwingt, wird Gelächter laut. Wie so oft, wenn sein Name in der Öffentlichkeit fällt.
»Du bist der Nächste.«
Vom Bühnenrand aus sieht sich Jesus an, wie die Sängerin, die vor ihm dran ist, von der Jury befragt wird.
»Schon als ich noch ganz klein war«, sagt sie gerade, während überall Kameras um sie herumfahren, »wusste ich, dass ich mal berühmt werde. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich anders bin als die anderen. Ich ...«
»Ja, Schätzchen«, unterbricht Stelfox. »Du bist wirklich anders. Das Problem ist nur, dass du nicht talentiert bist.«
Buhrufe und Pfiffe aus dem Publikum, während die Lippen des Mädchens beben.
»Komm schon, Steven«, sagt Darcy. »Wir haben hier schon erheblich Schlechteres gehört als Carrie.«
»Ach, und das ist Grund genug, sie weiterkommen zu lassen, Darcy? >Wir haben schon Schlimmeres gehört?< Ich meine ...«
Gelächter mischt sich unter die Buhrufe.
»Ich sage nur, es besteht kein Grund ...«
»Ja, und ich sage nur: Nächster. Danke, Carrie.«
»Sie machen einen großen Fehler«, sagt Carrie trotzig.
»Ich werde es überleben«, erwidert Stelfox. »Nächster!«
Jesus tritt vor, blinzelt in die verchromten Scheinwerfer. Und wie im Drehbuch vorgesehen, fragt Herb Stutz: »Wie heißt du, mein Sohn?«
»Jesus Christus.«
Gelächter, als Stelfox (wie im Skript vorgesehen) stutzt. Jesus lächelt. Seit einunddreißig Jahren immer derselbe Scheiß.
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