Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Vorladungen wegen Verkehrsdelikten, zweimal Alkohol in der Öffentlichkeit, ein paar Ruhestörungen. Nichts Außergewöhnliches. Abgesehen von dieser Vergewaltigung, die ihm - Gott stehe ihm bei - immer noch den Schlaf raubte, hatte Old Ike schon seit fünfzehn Jahren kein richtiges Verbrechen mehr in seinem Ort gehabt, und genau so sollte es auch bleiben.
Und jetzt taucht dieser Charlie Glass hier auf, Pastor Charlie Glass, wenn es nicht zu viel verlangt ist, und will irgendwas vom Zaun brechen. Nur was denn eigentlich genau?, fragt sich Ike und kratzt seinen silbrigen Bart. Er würde jetzt gerne rauchen, weiß aber, wie der Geistliche darüber denkt.
»Charlie, das Problem ist, dass ich nicht ganz sicher bin, was Sie in dieser Sache von mir erwarten.«
Pastor Glass seufzt. Er nimmt seine Brille ab und putzt sie mit seiner Krawatte, während er betont langsam weiterspricht, als wäre Ike geistig leicht zurückgeblieben. Nicht gerade die Sorte von Brille, die man von einem Kirchenmann erwarten würde, teures Designerding mit irgendeinem Logo und gelb getönten Gläsern, denkt Ike.
»Haben Sie mal gelesen, was dieser Mann so von sich gibt?«, fragt der Pastor, setzt seine Brille wieder auf und tippt mit dem Finger auf ein Foto von Jesus in der Ausgabe der New York Times, die er auf Ikes Schreibtisch ausgebreitet hat. »Er glaubt, er sei Unser Herr Jesus. Der Sohn Gottes. Gekommen, um uns alle zu erretten. Ich meine, diese unverhohlene Blasphemie! Wissen Sie, wenn er Moslem wäre und behaupten würde, er sei Mohammed, hätte ihm wahrscheinlich längst jemand den Kopf abgeschlagen.«
»Na, Gott sei Dank sind wir keine Muslime, Charlie, hm? Möchten Sie noch einen Kaffee? Noch ein Stück Kuchen?« Er steht auf und geht zur Kaffeekanne. Durch die Glasscheibe sieht er Diane, die nebenan an der Schreibmaschine sitzt und sich mit Chip und Burt, seinen beiden Hilfssheriffs, unterhält. Die drei lachen über irgendwas.
»Nein, danke«, sagt Glass über seine Schulter hinweg. »Und man könnte argumentieren, dass den Muslimen die Religion wenigstens noch etwas bedeutet. Allein der Gedanke daran, was da unten vor sich geht, nicht mal fünf Meilen von dem Ort entfernt, wo unsere Kinder zur Schule gehen und unsere Frauen einkaufen ...«
»Soweit ich es beurteilen kann, Charlie, geht dort nichts weiter vor sich. Dafür, dass sie erst seit Januar da sind, steht denen eine beeindruckende Ernte ins Haus.«
»Dann waren Sie also schon da unten?«
»Klar. Ich hab ein paarmal reingeschaut.« Ike setzt sich mit seinem vollen Becher wieder hin.
»Und?« Pastor Glass sieht ihn erwartungsvoll an. Ike muss lachen. »Und ... nichts weiter, Pastor. Nur ein paar Leutchen,
die auf ihrem Privatgelände machen, was sie wollen ... was ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht ist.«
Gottverdammt, Mann, denkt Ike. Leben und leben lassen, oder? Wir wollen uns doch wie Christen verhalten, oder?
»Haben Sie ihn gesprochen?«, fragt Glass.
»Diesen Jesus? Ja. Freundlich, höflich. Vielleicht etwas, na ja, spinnert. Aber nicht schlimmer als die meisten Kids heutzutage. Die Zeiten ändern sich, wissen Sie?«
»Fällt Ihnen irgendwas ein, das sich zum Besseren verändert hätte, Sheriff?«
»Pastor, wenn Sie sich solche Sorgen machen, weil diese Leute hier in der Gegend sind, schlage ich vor, Sie fahren mal da raus und sehen sich um. Was halten Sie davon?« Ike beugt sich vor und faltet die Hände, in der Hoffnung, damit anzudeuten, dass das Thema langsam erledigt ist.
»Vielleicht tue ich das. Nun«, Glass erhebt sich, lächelt steif, faltet seinen langen, dürren Leib aus dem Stuhl, »danke, dass Sie mir Ihre kostbare Zeit gewidmet haben. Ich wollte nur ... meiner Sorge Ausdruck verleihen. Das verstehen Sie doch?«
»Oh, natürlich verstehe ich das, Pastor.« Ike steht auf, um ihm die Hand zu schütteln.
»Seien Sie doch so nett und grüßen Sie Marjorie von mir, ja? Ich sehe Sie beide ja sicher am Sonntag in der Kirche.«
»Das werden Sie. Oh, und vergessen Sie Ihre Zeitung nicht.« Er reicht sie Glass, der schon den Türknauf in der Hand hält.
»Behalten Sie sie. Zur persönlichen Erbauung.«
»Na dann, vielen Dank auch. Schönen Tag noch.«
Ike setzt sich wieder hin und pickt die letzten Kuchenkrümel auf, während er zusieht, wie der Mann huldvoll nickend durch das kleine Revier und hinaus in den Sonnenschein stakst. Ike wirft die New York Times in den Papierkorb.
Charlie Glass. Ike erinnert sich an den Vater, Pastor Willard
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