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Gott geweiht

Gott geweiht

Titel: Gott geweiht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.E. Lawrence
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sich nicht um sich selbst sorgen müssen. Also haben Sie erwartet, dass ich böse sein würde, wenn ich herausfinde, dass Sie einen Fall übernommen haben, und als ich nicht verärgert wirkte, waren Sie enttäuscht.«
    Lee weigerte sich, die Erklärung zu akzeptieren. Er hasste seine defensive Reaktion, doch er konnte nicht anders. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.
    »Vielleicht hat es Sie sogar wütend gemacht«, fuhr Dr. Williams fort.
    »Warum sollte es mich denn ärgern?«
    »Weil Sie das Gefühl haben, ich hätte sie im Stich gelassen – weil ich mich geweigert habe, die Rolle zu übernehmen, die Sie mir zugedacht hatten.«
    Lee verdrehte die Augen. »Ach, ich bitte Sie. Das ist doch wohl ein bisschen weit hergeholt, meinen Sie nicht?«
    Dr. Williams lächelte. »Was meinen Sie?«
    Lee wand sich in seinem Sessel und sah zur Tür.
    »Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es, wenn wir auf ein schwieriges oder schmerzhaftes Thema zu sprechen kommen, oft Ihr erster Impuls ist wegzulaufen?«
    Lee sah sie an. »Kein Scheiß? Wie zum Teufel sind Sie denn da bloß draufgekommen?«
    Zu seiner Überraschung lachte Dr. Williams. Dann sagte sie: »So würde Ihre Mutter nicht auf derartige Bemerkungen reagieren, stimmt’s?«
    »Nein – als ich noch klein war, hätte ich in Null komma nichts ein Stück Seife im Mund gehabt. Na und?«
    »Nun, vielleicht stellen Sie mich auf die Probe. Ihnen muss ich ja nicht sagen, dass wir in der Therapie, wie in unseren Beziehungen, oft versuchen, eine andere Reaktion zu provozieren als die, mit der wir aufgewachsen sind.«
    »Ganz recht – mir müssen Sie das wirklich nicht alles erzählen. Klassische Übertragung, blablabla. Ja und?«
    »Und nichts. Entweder es nützt Ihnen, oder es nützt Ihnen nicht. Es spielt keine Rolle, ob ich recht habe oder nicht – wichtig ist nur, ob es Ihnen hilft oder nicht.«
    Lee sah auf seine Hände. Mir kann nichts mehr helfen , dachte er bei sich. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus, eine Kluft, entstanden aus seiner mangelnden Bereitschaft, in die trüben Tiefen seines Verstandes vorzudringen und mit den Ungeheuern zu ringen, die dort lauerten.
    »Er verstümmelt sie«, sagte er abrupt, in der Hoffnung, seine Therapeutin zu schockieren, mit seinen Worten zu strafen. Er hasste ihre Gelassenheit, ihre Selbstsicherheit, und er wollte sie verunsichern.
    »Wer?«, fragte sie.
    »Der Mörder. Er schlitzt Worte in ihre Körper.«
    »Was für Worte?«
    »Das Vaterunser, Herrgott noch mal!«
    Ein Gedanke keimte in ihm auf, ein winziges Saatkorn, das wuchs, während er sprach.
    »Er ist auch auf der Suche.« Lee sprach gedehnt, gab der Idee Gelegenheit, Gestalt anzunehmen.
    »Wer?«
    »Der Mörder. Für ihn ist es eine ewige Suche nach dem Happy End. Nur dass es das nie gibt. Der Moment verstreicht, dann gewinnt die Wut die Oberhand, und das Einzige, was ihm noch bleibt, ist das Töten. Aber jedes Mal beginnt er wieder mit der Hoffnung, dass es nicht dazu kommt.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich weiß es nicht – ich habe nur so ein Bauchgefühl.«
    »Einen Instinkt.«
    »Genau – einen Instinkt. Etwas an ihm, an seiner Vorgehensweise, seiner Signatur – für ihn ist das Töten ein letzter Ausweg.«
    »Dann verstehen Sie ihn also?«
    »Ja, ich verstehe ihn.«
    »Und seine Wut? Verstehen Sie die?«
    Lee sah aus dem Fenster.
    »Oh ja«, sagte er mit gepresster Stimme. »Ich verstehe seine Wut.«

KAPITEL 9

    Samuel zog es wieder auf den Campus , in der Hoffnung, einen weiteren Blick auf die verschwommenen Zauberwesen hinter ihren durchscheinenden Spitzengardinen zu erhaschen. Doch es war Freitagabend, und die Zauberwesen waren weg – bestimmt waren sie aus, um sich zu amüsieren. Mädchen wie die sind Schlampen, Samuel! Schlampen! Sie werden dich verderben!
    Er vertrieb die kalte Stimme seiner Mutter mit einem Kopfschütteln und ging auf das Wohnheim zu. Im ersten Stock brannten einige Lampen, und er konnte eifrige Studenten an ihren Schreibtischen sitzen sehen, die Köpfe in ihren Lehrbüchern vergraben. Als er näher kam, sah er auch Licht in einem der Zimmer im Erdgeschoss. Das Erdgeschosszimmer war anders – das Licht war gedämpft und hatte einen warmen, orangen Schein.
    Es hatte etwas Intimes.
    Samuel schlich zum Fenster, kauerte sich hinter ein Gebüsch und lauschte. Geräusche drangen aus dem Zimmer, unreine Geräusche, die sein Herz schneller schlagen ließen, während krankhafte Erregung durch seine Adern strömte. Sein

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