Gott geweiht
Magen fühlte sich an wie eine riesige, in sein Fleisch geschnittene Höhle. Seine Handflächen schwitzten, und alles Blut schien aus seinem Kopf zu weichen, ließ ihn schwindeln. Samuel kniff seine Augen fest zu und atmete tief und regelmäßig, um nicht ohnmächtig zu werden.
»Oh, Roger, oh, oh … Roger .«
Die Stimme des Mädchens war verzerrt und heiser vor Leidenschaft und drang in Samuels Bewusstsein ein wie ein Messer, während er dort in der Dunkelheit kauerte, die Knie in die feuchte Erde gedrückt, sodass ein nasser Fleck an seinen Hosenbeinen hinaufkroch. Samuel strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und umklammerte die Knie, um sich in der Dunkelheit unsichtbar zu machen. Seit seiner Kindheit war die Dunkelheit sein Freund, verbarg ihn vor den aufdringlichen Blicken seiner Mutter und der frechen Neugier seiner Klassenkameraden. In der Dunkelheit war er sicher, wurde eins mit der samtenen Schwärze, die ihn umgab.
Er hatte nie Angst vor der Dunkelheit gehabt, hatte nie geweint, wenn nachts das Licht in seinem Zimmer ausgeknipst wurde. Er sehnte sich danach, sich in die Stille der Nacht zurückzuziehen, während um ihn herum die anderen schliefen und er dem leisen Rumoren jener Geschöpfe lauschte, die sich in der Dunkelheit ebenfalls wie zu Hause fühlten. Er lag in seinem Bett und horchte auf die verschiedenen Geräusche – das metallische Klicken der Grillen, den leisen Schrei einer Eule, das Rascheln der Tiere im Wald.
Besonders gefiel es ihm, am Sonntagmorgen aus dem hellen Sonnenschein in das hohe, gewölbegleiche Innere der Kirche zu treten – er liebte die kühle Stille der Steinsäulen. Er wusste, dass seine Mutter über sein Interesse an der Kirche hocherfreut war, doch sie hatte keine Ahnung, wie sehr er das Schummrige der Kapelle liebte, besonders an trüben, bedeckten Tagen, wenn das fahle Licht kaum durch die hohen Buntglasfenster zu dringen vermochte und die Gemeinde in ein heiliges Dämmerlicht gehüllt war. Es waren Momente wie diese, in denen er sich Gott am nächsten fühlte, in denen er sich beinahe vorstellen konnte, dass Gott ihm seine dunklen Gelüste vergab …
»Oh, oh, Gott … R-r-r-o-ger!«
Die Stimme des Mädchens stockte und explodierte dann in einem lustvollen Aufheulen. Er legte die Hände über seine Ohren, während er spürte, wie ihm das Blut heiß in den Kopf schoss. Brennende Tränen der Scham liefen über seine Wangen, fielen von seinem Kinn und sammelten sich in der Kuhle seines Schlüsselbeins. Er fühlte sich besudelt von dieser Nähe zu ihrer sündigen Leidenschaft, und in dem Moment wusste er, was er zu tun hatte. Er beugte sich auf dem feuchten Boden vor und vergrub seinen Kopf in den Händen, wiegte sich hin und her, während die Nässe tiefer in seine Haut, seine Adern, seine Knochen drang. Er stöhnte leise. Es blieb jetzt nur noch eines zu tun, und die Ehrfurcht gebietende Verantwortung dieser Pflicht erfüllte ihn mit Demut.
Die Hand Gottes . Er sah auf seine eigenen Hände, so weiß und zart, dass man sie beinahe für Frauenhände halten konnte. Er wusste, wie man es machte – er hatte es gesehen. Jetzt war er bereit, es selbst zu tun.
Dein Reich komme, Dein Wille geschehe …
Er erhob sich von seinem einsamen Lauerposten und wich in die einladende Dunkelheit zurück. Es war an der Zeit, Gottes Willen zu tun.
KAPITEL 10
»Wissen Sie, es ist komisch«, sagte Lee zu Butts, »aber ich habe mehr Mitleid mit diesen gemarterten, getriebenen Kerlen als mit den üblichen Durchschnittsmördern – Sie wissen schon, denen, die aus logisch nachvollziehbaren Gründen töten.«
Sie saßen in der U -Bahn Richtung Bronx, auf dem Weg zu ihrem Gespräch mit Christine Riley, Marie Kellehers Zimmergenossin an der Fordham University.
»Was genau meinen Sie mit logisch ?«, wollte Butts wissen.
»Oh, Sie wissen schon: Eifersucht, Gier, Rache, Geld, Ansehen – oder töten, um sich eines leidigen Ehepartners oder Familienmitglieds zu entledigen. Das Übliche halt.«
»Sie haben mehr Mitleid mit diesen Irren? Wieso denn das?«
»Es ist etwas Kaltblütiges am Töten – aus finanziellen Motiven zum Beispiel. Aber Sexualmorde – tja, die mögen geplant sein, aber gemeinhin steht ein Zwang dahinter. Besonders bei Wiederholungstätern.«
»Ach ja? Na und?«, fragte Butts, als der Zug in den Bahnhof einfuhr und ruckelnd zum Stehen kam.
»Wenn sie einmal anfangen, ist es ihnen praktisch unmöglich, wieder aufzuhören.«
»Warum fangen sie überhaupt
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