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Gott geweiht

Gott geweiht

Titel: Gott geweiht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.E. Lawrence
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Mörder den Spitznamen »Schlitzer« gegeben – Lee gefiel das nicht sonderlich, aber er und Butts fingen gerade an, sich aneinander zu gewöhnen, und er wollte jetzt keinen Streit vom Zaun brechen, daher ließ er es durchgehen.
    »Wir haben einen Durchsuchungsbescheid für seine Wohnung. Wenn die verschwundene Kette dort ist, werden wir sie finden«, erklärte Chuck.
    »Ich denke nicht, dass ihr die Kette dort finden werdet«, entgegnete Lee und wandte sich zu Butts um. »Erinnern Sie sich noch, dass der Freund dachte, Marie würde sich mit einem anderen Mann treffen? Das muss Pater Michael gewesen sein.«
    »Was für ein Schwein. Diese Mädchen so auszunutzen. Und wisst ihr, was mir wirklich den Rest gibt? Die Familien wussten darüber Bescheid, und sie haben kein Sterbenswort gesagt.«
    »Na ja, es gibt verschiedene Ebenen, auf denen man etwas wissen oder nicht wissen kann, und wir können unmöglich mit Sicherheit sagen, was die Eltern wirklich gewusst haben – vielleicht hatten sie nur einen Verdacht«, hielt Lee dagegen.
    »Aber warum eine solche Sache vertuschen?«
    »Weil sie gute Katholiken waren«, sagte Chuck ironisch.
    Butts kratzte sich am Kopf. »Das ist mir zu hoch.«
    »Wie hätten sie sich eingestehen sollen, dass der Priester ihrer Tochter zu etwas Derartigem fähig war?«, sagte Lee. »Das stürzt ihr gesamtes Glaubenssystem ins Chaos.«
    »Oh Mann«, sagte Butts. »Da kann einem echt schlecht werden.«
    »Es ist schlimm, da stimme ich zu«, erwiderte Lee. »Aber was der Mörder macht, ist noch schlimmer – viel schlimmer.«

KAPITEL 12

    Lee saß seitlich am Rand des zugigen Hörsaals im John Jay College und schaute sich seinen alten Mentor in Aktion an. Es war nach 15 Uhr, doch die Heizung in dem großen Raum war nicht eingeschaltet, und die Studenten saßen dort dick eingepackt in ihre Daunenjacken und bliesen auf ihre Hände, um sich die Finger zu wärmen. Trotz der eisigen Temperaturen war die Vorlesung gut besucht. Nelson zog immer ein großes Publikum an. Das hier war ein neu eingeführter Kurs, ein bisschen gewagt für den typischen John-Jay-Lehrplan: Psychologie und Philosophie des Wiederholungstäters .
    »Ich möchte heute mit einem Zitat des hoch angesehenen FBI -Profilers John Douglas beginnen«, verkündete Nelson gerade vorn auf dem Podium und zog eine große Leinwand von der Decke herunter. »In seinem Buch Die Seele des Mörders schreibt er: Um den Künstler zu verstehen, muss man sich sein Werk ansehen.«
    Nelson hockte sich auf die Kante des Pults und rieb sich den Nacken. »Also, was genau bedeutet das?«
    Er ließ seinen Blick über die eifrigen Gesichter im Auditorium schweifen. »Es heißt, es sei nur ein schmaler Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Wenn man diesen Gedanken weiterführt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass in jedem Genie ein potenzieller Wahnsinniger lauert. Und im Falle von Van Gogh und Lord Byron zum Beispiel hatte man eindeutig beides.«
    Nelson hielt inne, um den Diaprojektor neben sich auf dem Pult einzurichten. Seine Studenten saßen erwartungsvoll da, gebannt von seinem Intellekt und seinem Charisma. Lee erinnerte sich, dass es zu seiner Unizeit eine ganze Reihe von Studentinnen gegeben hatte, die so für Nelson schwärmten, dass sie ihm zwischen seinen Seminaren nachliefen und im Glanz seiner eindrucksvollen Persönlichkeit badeten.
    »Das bringt uns zurück zu John Douglas«, sagte Nelson. Er stand von der Pultkante auf und griff nach der Fernbedienung für den Diaprojektor. »Um den Künstler zu verstehen, muss man sich sein Werk ansehen. Und wenn man einen Serientäter in der gleichen Weise betrachtet, wie man es mit einem Künstler tut, dann erkennen wir, was Mr. Douglas meint. Schließlich ist die Wurzel die gleiche – Besessenheit. Es unterscheiden sich nur Form und Inhalt, der Grad an Sublimierung, die gesellschaftliche Akzeptanz.«
    »Das hier«, sagte er und drückte auf die Fernbedienung, sodass mit einem Klick der Garten von Arles auf der Leinwand erschien, »ist gesellschaftlich akzeptabel. Doch das hier« – ein weiteres Klicken, und der Garten wurde ersetzt durch das Foto einer jungen Frau mit dunkelroten Würgemalen am Hals – »ist es nicht.«
    Ein Raunen ging durch das Auditorium. Nelsons Mund zuckte und kräuselte sich zu einem schiefen Schmunzeln. Er mochte es, seine Studenten zu schockieren. Ohne diese dunkle Seite wäre Nelson nicht Nelson, dachte Lee bei sich.
    Eine junge Frau in der dritten Reihe meldete sich. Es war

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