Gott geweiht
in seiner Jackentasche, der sich an die gewetzte Klinge seines Messers schmiegte. Die Anweisungen darauf waren klar und deutlich – und heute Nacht würde er den Willen seines Herrn und Meisters tun.
KAPITEL 16
Lee saß auf der harten Hinterbank im Zuschauerraum des Gerichtssaals und folgte der Verhandlung. Er war ziellos durch die Innenstadt gestreift, und als er sich unvermittelt auf der Treppe vor dem Strafgerichtsgebäude wiederfand, hatte er entschieden hineinzugehen. Es war Freitagnachmittag, und er fühlte sich angesichts des bevorstehenden Wochenendes etwas verloren. Mit frei verfügbarer Zeit kam er nicht mehr gut zurecht. Er empfand Gerichtssäle als beruhigend, ja tröstlich – sie erinnerten ihn daran, dass Verbrecher manchmal tatsächlich überführt und verurteilt wurden.
Bei diesem Prozess drehte es sich um einen Mordfall, und der Angeklagte – der Ehemann des Opfers – wurde am Tisch der Verteidigung von seinen Anwälten flankiert. Er saß still da, die Hände im Schoß gefaltet, ein schmächtiger, unscheinbar aussehender Mann mit beginnender Glatze.
Der Staatsanwalt, ein schlanker, geschniegelter Asiate mit gegelten, schütteren Haaren, stand auf und knöpfte sein Jackett zu.
»Wir rufen Katherine Azarian in den Zeugenstand, Euer Ehren.«
Der Richter nickte und zupfte an seiner buschigen rechten Augenbraue.
In der Zuschauergalerie stand eine kleine Frau auf und ging zum Zeugenstand. Etwas an der ruhigen, gefassten Art, wie sie sich bewegte, stach Lee ins Auge. Sie trug einen schlichten dunkelgrünen Hosenanzug mit taillierter Jacke, nichts Auffälliges – doch an ihr wirkte es irgendwie elegant. Ihr dunkles, welliges Haar war kurz geschnitten und betonte ihre Wangenknochen und ihr entschlossenes spitzes Kinn.
»… die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe!« Der Gerichtsdiener, ein dicker, rotgesichtiger Mann, sagte den Eid mit monotoner Stimme vor.
»Ich schwöre«, erwiderte Dr. Azarian deutlich und bestimmt, dann nahm sie ihre Hand von der Bibel, die der Gerichtsdiener ihr hinhielt, und trat in den Zeugenstand. Lee musterte sie, während sie sich hinsetzte, ihre Augen auf den Staatsanwalt richtete und auf seine erste Frage wartete. Ihr Auftreten war selbstsicher und doch in keiner Weise arrogant. Lee fiel es schwer, den Blick von ihr zu lösen.
Der Staatsanwalt trat lächelnd zu ihr. »Könnten Sie bitte Ihren Beruf nennen, Dr. Azarian?«
»Ich bin forensische Anthropologin.« Ein kleines Grübchen an ihrer Kinnspitze kam in Bewegung, wenn sie sprach.
»Und was genau macht eine forensische Anthropologin?«
»Ich helfe bei der Identifizierung von Leichen und der Feststellung der Todesursache anhand der Untersuchung ihrer Skelette.«
»Dann sind Sie also auf Knochen und Gebeine spezialisiert?«
»Ja.«
Der Staatsanwalt nahm ein Foto vom Tisch mit den Beweisstücken und hielt es hoch.
»Beweisstück A , Euer Ehren. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich es gern der Zeugin und dann den Geschworenen zeigen.«
Der Richter nickte. Der Staatsanwalt zeigte Dr. Azarian das Foto.
»Ist Ihnen das hier bekannt?«
»Ja. Es ist eine Aufnahme vom Schädel des Opfers.«
Der Staatsanwalt reichte das Bild an die Geschworenen weiter, deren Reaktionen unterschiedlich ausfielen. Einige starrten es fasziniert an, andere betrachteten es mit distanziertem Blick, und einige waren sichtlich betroffen davon. Der Staatsanwalt ließ sich das Foto vom Sprecher der Geschworenen zurückgeben und wandte sich wieder der Zeugin zu.
»Hatten Sie Gelegenheit, den Schädel selbst zu untersuchen?«
»Das hatte ich.«
»Und zu welchem Schluss sind Sie bezüglich der Todesursache gekommen?«
»Todesursache war stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf.«
»Und könnten die Verletzungen, die Sie festgestellt haben, von einem Sturz herrühren?«
»Nein. Die Verletzungen sind mit einem Sturz unvereinbar. Zum einen finden sie sich auf beiden Seiten des Schädels. Zum anderen deuten Form und Größe der Abdrücke darauf hin, dass auf das Opfer mit einem schweren Gegenstand eingeschlagen wurde – höchst wahrscheinlich mit einem Hufeisen.«
»Wie diesem hier?«
Im Gerichtssaal erhob sich ein Raunen, als der Staatsanwalt ein großes Hufeisen vom Beweismitteltisch nahm.
»Ja. Die gerundete Form der Verletzungen am Schädel sowie der auffällige Abdruck dieser Erhöhung hier« – sie zeigte auf den abstehenden Rand an der Vorderseite des u-förmigen Eisens – »sind sehr
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