Gott geweiht
mit Lee Campbells Sturkopf. Natürlich war er eigentlich nicht wütend, sondern machte sich Sorgen – das hätte er aber selbstverständlich nie zugegeben.
»Du könntest dir wenigstens zwei Tage freinehmen«, murrte er.
»Nicht gerade jetzt. Ich muss mit diesen Leuten sprechen. Du weißt genauso gut wie ich, dass ich dabei sein muss.«
Chuck ballte die Fäuste. Lee hatte recht, aber dass sein Freund sich nach dem Angriff am Vorabend gleich wieder in die Arbeit stürzte, konnte Chuck nicht gutheißen. Die beiden geheimnisvollen Angreifer – offensichtlich Profis – hatten die Sache schnell und effektiv erledigt, wie Lee berichtet hatte – und sie hatten ihn nicht bestohlen, also nicht einmal versucht, das Ganze als Raub zu tarnen. Ja, sie hatten sogar Handschuhe getragen, und damit gab es fast keine Chance, verwertbare Spuren für eine DNA -Analyse zu finden.
»Das war das letzte Mal, dass du ohne Bewachung unterwegs warst. Von jetzt an stellen wir einen Kollegen ab, der rund um die Uhr ein Auge auf dich hat.«
Sie öffneten die Tür zum trostlosen Foyer, in dem die Eltern von Pamela Stavros einsam auf zwei der gelben Plastikstühle saßen und warteten. Mr. und Mrs. Stavros waren unauffällige Durchschnittsmenschen. Er war ein kräftiger Mann mit muskulösen Armen und Beinen und einem Bürstenschnitt, den er wahrscheinlich so schon als Junge getragen hatte. Das Gesicht seiner Frau musste einmal hübsch gewesen sein, nun wirkte es aufgequollen.
»Ich weiß, wie schwer das für Sie ist«, sagte Chuck zu den beiden, während er sie in den Raum führte, in dem ihre Tochter lag.
Lee war diese Woche nun schon zum zweiten Mal hier, und er konnte sich einfach nicht an den Geruch von Formaldehyd gewöhnen, der durch die geschlossenen Metalltüren auf den Flur drang. Sein Kopf schmerzte, und jeder Atemzug tat weh, aber er biss die Zähne zusammen und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Nachdem er den Überfall auf dem Revier in Chinatown gemeldet hatte, hatte er elf Stunden durchgeschlafen. Beim Aufwachen fühlte er sich hundsmiserabel. Aber er hatte darauf bestanden, bei der Befragung von Pamela Stavros’ Eltern dabei zu sein.
»Sie müssen nicht mit hineinkommen, wenn Sie nicht möchten«, sagte Chuck zu Mrs. Stavros. Sie presste die zitternden Lippen zusammen und schaute hinüber zu ihrem Mann.
»Sie schafft das«, erklärte der. »Bringen wir es hinter uns.« Sein Akzent verriet deutlich, dass er aus Maine in New England stammte.
Sie betraten den Kühlraum, in dem sich in herausziehbaren Fächern an der Wand die nicht identifizierten Leichen befanden. Einer der Assistenten wartete auf sie, er hatte volles schwarzes Haar und trug eine Brille mit dünnem Metallrand. Er nickte Chuck und Lee zu und wartete, bis alle vier bereit waren. Mr. und Mrs. Stavros standen mit versteinerten Gesichtern da, während er das Fach mit der Leiche ihrer Tochter öffnete. Chuck nickte, und der Assistent hob das Laken, sodass Pamelas Gesicht zu erkennen war. Es war weiß und unversehrt, am Hals jedoch waren die dunklen Male der Strangulation zu erkennen.
Mrs. Stavros stöhnte auf und drückte dann die Stirn gegen den Arm ihres Mannes. Auf ein weiteres Zeichen von Chuck ließ der Mitarbeiter der Gerichtsmedizin das Laken wieder fallen und schob die Leiche zurück ins Kühlfach.
»Das ist sie«, sagte Mr. Stavros schroff, so als wäre er wütend, dass Chuck ihn hierherzitiert hatte. Lee kannte diese Reaktion, und sein Freund tat ihm leid. Diese zwei Menschen waren so voller Wut und Schmerz, dass sie mit Chuck den Nächstbesten als Blitzableiter benutzten. Für sie war er bloß der Überbringer einer Hiobsbotschaft, mehr nicht.
Schweigend gingen alle vier durch die Korridore zurück zum Eingang. Lee wusste, dass der Zorn, den Pamelas Eltern fühlten, ihm die Arbeit nicht gerade erleichtern würde. Seine Fragen würden sie aufregen, und vielleicht weigerten sie sich sogar, sie zu beantworten. Im Foyer angekommen, wandte er also einen alten Verkaufstrick an.
»Würden Sie uns freundlicherweise ein paar Fragen beantworten, die uns helfen könnten, den Mörder Ihrer Tochter zu fassen?«, fragte er, während er die beiden zu einer Stuhlgruppe in der Ecke dirigierte.
Mr. Stavros fuhr zu ihm herum. »Fassen? Fassen ? Ich helfe Ihnen gerne dabei, ihn zu häuten und am Spieß zu braten«, rief er wütend. »Am besten, Sie bringen mich einfach zu ihm, und ich kümmere mich dann um den Rest.«
Theodore Stavros war groß und massig
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