Gott im Unglück
Frühstück? Ich kann ein paar Eier machen gehen, wenn du willst.«
»Das wäre nett«, antwortete Bonnie unaufrichtig. Sie war nicht hungrig, aber so schaffte sie sich Syph wenigstens vom Leib.
Nachdem die zerlumpte Göttin den Raum verlassen hatte, fühlte sich Bonnie ein bisschen besser. Sie konnte sich aus dem Bett schleppen und anziehen. Duschen brachte sie zwar nicht über sich, aber sie fuhr sich immerhin mit einem Kamm durch die Haare und brachte die Energie auf, sich die Zähne zu putzen. Es war wichtig, die Routine aufrechtzuerhalten, trotz der Last, die sie niederdrückte. Sie durfte der Hoffnungslosigkeit nicht nachgeben.
Syph hatte einen Teller flüssige Eier, verbrannten Toast und eine Schüssel Müsli auf den Tisch gestellt.
»Iss nicht das Müsli«, sagte sie. »Die Milch ist sauer.«
»Die habe ich grade erst gekauft«, sagte Bonnie.
Syph zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid.«
»Tu mir einen Gefallen, ja? Wenn du nicht vorhast, mich in Ruhe zu lassen, könntest du dann wenigstens aufhören, dich ständig zu entschuldigen?«
Vielleicht war es eine optische Täuschung gewesen, aber Bonnie meinte, Syph beinahe lächeln zu sehen.
»Deine Eier werden kalt.«
Obwohl der Küchengeruch noch frisch in der Luft hing, waren die Eier eiskalt. Bonnie konnte es mit bloßem Auge erkennen, denn auf dem Teller bildete sich Eis. Sie aß sie nicht, rührte sie nicht einmal an. Ein Geschenk von einer Göttin des Herzeleids anzunehmen, hätte ihre Probleme nur noch vergrößert.
»Danke«, sagte Bonnie, »aber ich komme zu spät. Ich hol mir unterwegs was.«
»Nein, tust du nicht«, antwortete Syph, »aber danke, dass du dir wenigstens eine Ausrede ausgedacht hast.«
Bonnie fuhr mit dem Bus zur Arbeit. Syph folgte ihr nicht aus der Wohnung, schaffte es aber trotzdem, vor Bonnie im Bus zu sein. Sie hatte ihr sogar einen Platz frei gehalten.
Ein korpulenter Mann mit ewig mürrischem Blick saß hinter ihr. Sein Radio plärrte Hardcore-Speed-Metal, bei dem der Gitarrist so schnell spielte, dass die Töne verschmolzen und der Sänger brüllte. Eine halbe Minute, nachdem sie eingestiegen war, begann das Radio, näselnde Countrysongs über gebrochene Herzen und am Boden zerstörte Liebende zu spielen. Der Mann fummelte an den Knöpfen herum, um einen anderen Sender einzustellen und wechselte sogar die CD – ohne Wirkung. Irgendwann gab er auf und schaltete das Gerät aus.
Syph stieg nicht mit Bonnie aus, doch als sie die Buchhandlung erreichte, war die Göttin schon da und studierte die Zeitschriftenabteilung. Bonnie beschloss, ihr Bestes zu tun, Syph zu ignorieren. Wenn sie sie nicht beachtete, würde sie sich vielleicht trollen und jemand anderen belästigen.
Bonnie ging in den Pausenraum und stempelte ein. Ms Carter, die stellvertretende Geschäftsführerin, zog sie beiseite.
»Ich bin mir sicher, es geht Ihnen heute besser, Bonnie.«
Ein Vorwurf lag in ihrer Stimme. Ms Carter war eine Nörglerin. Bonnie arbeitete jetzt seit vier Jahren bei Books ’n’ More und hatte bisher nur einen Tag gefehlt. Das war zufällig Ms Carters erster Tag als stellvertretende Geschäftsführerin gewesen. Jetzt war Bonnie als Faulpelz gebrandmarkt. Ihr Nasenring half vermutlich auch nicht, und sie war sich ziemlich sicher, dass ihre kurzen Haare sie Ms Carters Meinung nach als potenzielle Lesbe auswiesen.
»Viel besser«, antwortete Bonnie.
Es stimmte nicht ganz. Sie war nicht sie selbst, aber sie gewöhnte sich langsam daran. Die Göttin hatte recht gehabt. Gestern – das war hart gewesen. Die vergangene Nacht noch härter. Der heutige Morgen schon gar nicht mehr so schlecht. Sie spürte immer noch das Gewicht auf ihrer Brust, den Wunsch, sich dem Vergessen hinzugeben. Aber das war nicht sie selbst. Das war der Einfluss der Göttin. Dieses Wissen half ihr, damit zu leben.
Die Carter zog ein finsteres Gesicht, aber sie zog immer ein finsteres Gesicht. »Gut, Bonnie. Ich hoffe, wir können darauf vertrauen, dass Sie ein verlässliches Mitglied der Books ’n’ More-Familie sind.«
»Ja, Ms Carter.«
Ihre Chefin ging mit ihrem typischen Kick-Step-Gang davon.
Bonnie entdeckte, dass es nicht so einfach war, Syph zu ignorieren. Die zerlumpte Göttin sprach nicht mit Bonnie und folgte ihr auch nicht. Sie lungerte lediglich im Laden herum, schlich die Regale entlang, trank einen Latte macchiato im Ladencafé, blätterte das Zeitschriftenregal durch und schlug ansonsten wie jede andere Kundin auch die Zeit tot. Aber es
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