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Gott oder Zufall?

Gott oder Zufall?

Titel: Gott oder Zufall? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Berry
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man an der Hirnbasis vermutete], das dieser Mann seinen Büchern überall einprägte. Es gibt nichts, wovon Ärzte häufiger reden. Sie haben es noch nie gesehen (denn es ist im menschlichen Körper kaum vorhanden), doch man gibt es aus der Lehre Galens wieder. Ich kann mich gar nicht genug über meine eigene Dummheit wundern sowie über mein großes Vertrauen in die Schriften Galens und anderer Anatomen; ja, ich, der ich mich so viel aus Liebe zu Galen abgemüht habe, dass ich nie in der Öffentlichkeit einen menschlichen Kopf seziert habe, ohne dass ich den eines Lammes oder eines Ochsen bereithielt, um das zu ersetzen, was ich in dem eines Menschen absolut nie finden konnte, und um es den Zuschauern einzuprägen – aus Furcht ich könnte diesen Plexus nicht finden, dessen Name doch so allgemein vertraut ist. Denn die rechten Halsschlagadern bringen einen solchen »Plexus reticularis«, von dem uns Galen da berichtet, nämlich nicht hervor!
    Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica libri septem (1543)
    Damit geißelte Vesalius jene, die sich lieber auf Bücher und Traditionen statt auf Beobachtungen aus erster Hand verließen. Thomas Willis (1621–1675), der Vater der Neurologie, schilderte sein Forschungsprogramm in ähnlichen Worten:
    Ich entschied mich dazu, sogleich an einem neuen Kursus teilzunehmen und auf diese eine Sache zu vertrauen, meinen Glauben nicht auf die Meinung anderer zu stützen und auch nicht auf die Verdächtigungen und Vermutungen meines eigenen Verstandes, sondern künftig auf die Natur und Beweise, die ich mit eigenen Augen gesehen habe; daher nahm ich von Stund an meine Zuflucht gänzlich zum Studium der Anatomie; und da ich hauptsächlich die Funktionen des Hirns untersuchte und seines nervösen Appendix, widmete ich mich dem Öffnen von Köpfen … und so könnte eine feste und stabile Basis gelegt werden, auf der nicht nur eine zuverlässigere Physiologie errichtet werden könnte, als wie ich sie in den Schulen erlernt habe, sondern auch – worüber ich lange nachgedacht habe – die Pathologie des Hirns.
    Thomas Willis, The Anatomy of the Brain (1664)
    Solche Kommentare reflektieren die eher direkte Kritik, die von Vesalius gegen die schon lange bestehende Konvention geübt wurde, unhinterfragt in die Fußstapfen der Altvorderen zu treten, denn der von Vesalius und Willis abgesteckte Weg zur Erkenntnis wurde im 17. Jahrhundert in zahlreichen Schriften verfolgt und beruht auf dem Motto der Royal Society Englands:
Nullius in verba
(»Auf niemandes Wort schwören«). Mit seinem Ruf, die Fesseln der Vergangenheit abzuwerfen und gleichzeitig die Verwurzelung allen Wissens in der Geschichte anzuerkennen, stellt dieser Weg die Geburt der Moderne dar. Er räumt ein, wie wichtig es sei, weiterhin Forschungen anzustellen, ohne a priori einer beeinflussenden Tradition gegenüber verpflichtet zu sein.
    Das Gleiche kann über die Auslegung der Bibel gesagt werden. Die Neuzeit lässt sich durch eine zunehmende Bereitschaft charakterisieren, die biblischen Stoffe in gewisser Weise als das Produkt menschlicher Bemühungen zu betrachten – und demzufolge als Schriften, über die man verantwortungsvoll streiten konnte. Tatsächlich empfahl Johann Salomo Semler (1725–1791) bei der Lektüre der Bibel ein Vorgehen, das unter dem Motto »wie jedes andere Buch« treffend zusammengefasst wurde – ein Motto, das die Tür öffnen sollte, ihre Richtigkeit in Frage zu stellen. Schließlich sollte die Fachrichtung der Bibelstudien, die sich aus den Anfängen des 17. und 18. Jahrhunderts heraus entwickelte, die Ziele und Methoden des akademischen Studiums der Bibel in einer Weise bestimmen, die es den Wissenschaftlern ermöglichte, die biblischen Stoffe zu erforschen, ohne sich festzulegen, ob sie den Texten zustimmten oder nicht.
     
    Andreas Vesalius (1514–1564) von Padua, Verfasser von
De Humani Corporis Fabrica
(1543), das auf sorgfältigen Sektionen von menschlichen Körpern beruhte  ©  © Lebrecht/​culture-images
     
    Kurz gesagt, die Zeit, in der sich die moderne Wissenschaft allmählich herausbildete, war von einer gigantischen Verschiebung von dem geprägt, wie wir das erfahren, was wir wissen. Es kam zu einem monumentalen Abrücken von der Abhängigkeit gegenüber früheren Autoritäten und Traditionen. »Wahrscheinlichkeit«, »Glaube« und »Glaubwürdigkeit« – Begriffe, die von den mit der Erforschung der Welt befassten Philosophen-Theologen verwendet wurden – wurden

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