Gott-Poker (German Edition)
unten weg, sie rutschte aus Karls Mantel heraus und landete mit der Nase im Schnee. Sie nieste vor Kälte und Schreck.
Sie nieste noch einmal. Karl lag neben ihr, eines seiner Haare hatte sie in der Nase gekitzelt.
Marino Faliero und dem Gott der Menschen sei Dank, schakte die Katze, es war nur ein blöder Traum.
Sie streckte sich und wollte aufstehen, doch Karl drehte sich unwillig brummend im Schlaf zu ihr um und legte seine Hand auf ihren Bauch. Die Katze ergab sich unmittelbar und bereitwillig dem Gewicht auf ihrem Leib und legte sich wieder hin. Sofort träumte sie weiter, wie es nach Art der alten Romanschreiber heißt.
»Hörst du das?« schrie Klara von der Mauer herunter. »Da ist doch irgendeine Musik - ich kenne das - die Melodie - hörst du das nicht?«
»Quatsch!« rief Karl. »Wo soll denn hier Musik herkommen? Was siehst du?«
»Nichts!« schrie Klara. »Nur Schnee - aber irgendwas ist da. Schwarze Flecken im Schnee - aber ich kann nichts erkennen. Hörst du das nicht? Das ist doch - was ist das nur - ich komme nicht darauf.«
Karl nahm del Toro, die in den Schnee gefallen war, und reichte sie zu Klara hinauf. Klara nahm die steifgefrorene, zitternde Katze und hielt sie im Arm. Del Toro versteckte ihre eiskalte Nase in Klaras Armbeuge. Karl begann, Schnee und Eisbrocken zu einem Haufen an der Mauer aufzutürmen und ve rsuchte sich an der Mauer hochzustemmen. Mit Klaras Hilfe, die von oben zog, schaffte er es schließlich und hievte sich auf die Mauer.
Der Wind heulte und pfiff, aber es stimmte - da war eine Melodie zu hören, die von der anderen Se ite der Mauer herüberwehte.
»Hörst du es jetzt?« fragte Klara wieder. »Ja«, sagte Karl, »das höre ich, das kenne ich. Ich komme auch nicht drauf, was das sein könnte. Hört sich an wie ein Lied, das Maria immer aufgelegt hat, ja, ich weiß genau, dass ich das Lied bei Maria gehört habe.«
»Mir wird schlecht«, sagte das Klärchen und schnappte nach Luft.
Da biss del Toro Klara fest in die Hand, bevor sie wieder eine Eifersuchtsszene liefern konnte. Del Toro fand, dass es dafür bessere Gelegenheiten gäbe als hier und jetzt. Sie mussten doch Maria finden. Es wurde immer dunkler.
Und del Toro hatte das Lied ebenfalls erkannt. Maria hörte es oft an, gemeinsam mit der Katze lag sie dann in ihrem Bett, das Display der Stereoanlage zeigte eine horizontal liegende Acht für die Ewigkeit und einen Totenkopf für höchste Lautstärke, und Maria sang mit, mal leise, mal aus voller Kehle, die Katze fest umklammert. Also musste sie doch hier irgendwo sein, oder sollte das etwa ein Zufall sein, dass mitten in einem Schneesturm, wo auch immer sie hier sein mochten, dieses Lied erklang.
Der Sturm tobte so hoch oben auf der Mauer. Man konnte kaum atmen. Auf Klaras blau gefrorener Hand zeichneten sich vier Bluttropfen ab, so fest hatte del Toro zugebissen. Klara saß still und unbeweglich. In ihren Augen froren die Tränen.
»Klara«, sagte Karl. »Klara, hör doch auf damit. Hör mal, ich habe ein anderes Lied für dich«, sagte Karl und setzte die wütende Katze neben sich in den Schnee.
Er öffnete seinen Pelzmantel und zog Klara zu sich heran. Hör mal, sagte er leise, als sie ganz nah bei ihm war. »Ruhig, Klärchen, hör mir zu. Weißt du nicht mehr?«
Karl begann leise zu singen, in Klaras Ohr hinein sang er eine merkwürdige, vom Wind verwehte Melodie, und die Worte bildeten einen weichen Teppich aus Heimat und Geborgenheit, eine Webfläche aus erinnerten Sonnentagen und vergangenem Glück.
Karl sang in Klaras Ohr, in einer getragenen, dumpfen Tonlage, die seiner normalen Stimme gar nicht glich. Immer wieder und wieder fing er von vorne an, während Klara in seinen Armen zitterte.
Der Gesang wurde lauter und lauter. Sang Karl lauter, weil er seine Stimme gefunden hatte, hier oben im Schneesturm auf der Mauer mit dieser merkwürdigen Melodie? Oder verstummte der Wind, so wie auch Klara langsam ruhig wurde und schließlich aufhörte zu zittern?
Del Toro wusste es nicht. Plötzlich war alles ganz still. Das Lied verstummte. Der Wind hatte aufg ehört. Schnee rieselte leise. Am Himmel türmten sich schwarze Wolkenberge; vor ihnen eröffnete sich die Sicht auf eine Weite in der Dämmerung grau glitzernden Schnees. Am Horizont versank ein goldener Ball hinter den Wolken. Unter ihnen, auf der anderen Seite der Mauer und bis in eine nicht erkennbare Entfernung reichend, ragten schwarze Steinplatten aus dem
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