Gott-Poker (German Edition)
Diamanten.
Draußen auf dem Hof jedoch ging eine alte Frau vorbei. Sie kam mit einer rostroten Einkaufstasche über den Hof gehumpelt und wollte sich kurz ausruhen, bevor sie das Treppenhaus in Angriff nehmen konnte. Sie stellte ihre Tasche vorsichtig auf den Boden und streckte den schmerzenden Rücken. Sie hob den Kopf in den Nacken und sah den dämmrigen Sommerhimmel über der Stadt, der einen rötlichen Schleier über den Hof warf. Von den Mülltonnen kam ein süßlicher Gestank herüber. Als die alte Frau den Kopf wieder senkte, fiel ihr Blick auf den nackten Mann im ersten Stock. Er turnte direkt hinter dem hell erleuchteten Fenster herum und rieb sich sorgfältig mit einem blauen Badetuch ab. Ohne zu überlegen, was sie tat, nahm die alte Frau ihre Brille aus der Tasche und setzte sie auf. Die Frau hatte schon lange keinen nackten Mann mehr gesehen, und überhaupt niemals hatte sie einen Mann gesehen, der sich so ungeniert am erleuchteten Fenster abtrocknete. Er schien etwas zu singen, aber durch die Scheiben konnte man nichts hören. Die Frau wich einige Schritte zurück in den Schatten der Mauer. In ihren Ohren rauschte das Blut, und obwohl sie sich zwingen wollte, über sich selbst den Kopf zu schütteln und mit ihrer Einkaufstasche nach oben zu gehen, konnte sie sich nicht bewegen. Sie fühlte die Röte in ihrem Gesicht. Sie starrte den Mann an, der jetzt still stand und sich die Haare trocknete.
Die Frau fühlte sich jung und schön und wild, bis ihr einfiel, dass sie überhaupt nicht jung und schön und wild war. Sie dachte an die blauen, geschwoll enen Adern in ihren Beinen. Eine Leere, die sie meistens zu unterdrücken vermochte, übermannte ihre Brust und ließ sie fast stürzen.
Karl indessen schüttete sich große Mengen einer weißen Flüssigkeit aus einer blauen Glasflasche in die linke Hand, von wo er sie sorgfältig auf dem ganzen Körper verteilte.
Die alte Frau konnte Karl jedoch nicht mehr sehen. Sie nahm ihre rostbraune Einkaufstasche und trug sie langsam die Treppe hinauf, ohne sich noch einmal zu den Fenstern des fremden Mannes umzudrehen. Vor ihrer Wohnungstür angekommen, holte sie den Schlüssel aus der linken Jackentasche, sperrte die Tür auf und atmete stickige Luft. Zum ersten Mal seit langem roch sie den für ihre Wohnung typischen Geruch. Flach atmend schlich sie in die Küche und stellte die Einkaufstasche auf den Tisch. Automatisch und mit schwachen Bewegungen nahm sie eine Fleischwurst, eine Packung Brot, zwei Zwiebeln, eine Altfrauenpackung Milch und einen Piccolosekt heraus und legte alles auf die Anrichte unter dem Küchenschrank. Der Kühlschrank sprang an und begann zu brummen. Die Frau zuckte in der Dunkelheit zusammen. Den Kohlkopf, der sich noch in der Tasche befand, ließ die alte Frau darin liegen.
Sie konnte nicht davon lassen, immer noch Koh lköpfe zu kaufen, obwohl ihre Enkelin schon lange davon sprach, dass Kohlköpfe heutzutage aus der Mode seien. »Oma«, sagte sie oft, »weißt du, man kann Sauerkraut kaufen. Wozu schleppst du immer diese grünen Dinger nach Hause!« So sagte sie, seit sie ihr erklärt hatte, dass man aus den grünen Dingern das Kraut kochte, das es immer zu den Knödeln gab, und von dem das Mädchen riesige Portionen verschlang.
Doch damit sollte es jetzt ein Ende haben. Nie wieder, schwor sich die alte Frau, nie wieder sollte es in dieser Küche Kraut zu essen geben. Sie war o hnehin zu schwach, den Kohlkopf zu schneiden. Sie musste sich mit ihrem ganzen Gewicht auf das Messer stützen, um den harten, grünen Strunk zu zerteilen. Die Füße in der Luft, hing sie dann über dem Tisch und das Messer schnitt nicht nur den Kohlkopf, sondern mit der anderen Seite auch tief in ihre Handflächen und hinterließ dort rote Striemen, die noch Stunden später schmerzten und juckten.
Sie legte die Tasche mit dem Kohl darin auf einen Stuhl. Sie verrückte einen Blumentopf, öffnete das Fenster und sog einen Moment die frische Luft ein. Dann schlich sie sich in ihr Schlafzimmer hinüber. Sie setzte sich im Dunkeln auf das gemachte Bett und wusste nicht, was sie mit ihren viel zu langen Armen anfangen sollte. Ein trockenes Geräusch kam aus ihrer Kehle. Schließlich zog sie, ohne die Schuhe auszuziehen, die Beine an, legte sie schwerfällig auf die glatte Tagesdecke und merkte, wie ein Zittern aus ihrer Mitte kam. Sie lag auf dem Bett, das ihr riesig und viel zu groß für sie alleine schien, es schien, als wäre das Bett in der Mitte
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