Gott-Poker (German Edition)
vermuteten, sie wüssten ohnehin Bescheid.
Wir nahmen am Flughafen stets die längste Schlange, damit wir länger dort stehen und uns au smalen konnten, wo wir wohl landen würden. Wir betrachteten die Leute, die vor uns in der Schlange standen, und mutmaßten flüsternd, wo sie wohl herkamen, wo sie hinflogen und was sie da täten, wie ihre Frau aussähe und ob sie eine Geliebte hätten oder doch eher einen Hund oder beides. Karl ließen wir zu Hause. Er war für solche Scherze nicht zu haben, und Klara war, so schien es mir, ganz froh, ihn wenigstens ein paar Wochen im Jahr los zu sein und nicht jede Nacht auf ihn warten zu müssen. Ich fragte mich oft, ob sie wohl etwas ahnte, wenn sie mich manchmal so komisch ansah, und wieso ich mich so kein bisschen schuldig fühlte, im Gegenteil, manchmal ertappte ich mich dabei, wütend auf diese Schlampe zu sein, die den Freund meiner besten Freundin vögelte, ohne, so scheint es mir heute, jemals wirklich zu realisieren, dass diese Schlampe ich selbst war. Wenn wir alleine waren, ohne Karl, war es beinahe wie früher, wenn wir im Garten am See gelegen hatten und, sobald die Sonne hinter den Bäumen verschwunden war, in dem alten Segelflugzeug von Klaras Großvater saßen und uns bei Kerzenschein Geschichten vorlasen und Wein tranken.
Heute hatte ich die kürzeste Schlange genommen, und die Stimme der Frau am Schalter drang durch Klaras helles Lachen in meinem Ohr:
»Sie wollen in die Sonne?« Sie hatte ein so perfektes, verständnisvolles, komfortables Flughafenlächeln, und gab mir so schnell ein Ticket, dass ich gar nicht dazu kam, beleidigt zu sein.
Während des Fluges starrte ich in das Wolkengebirge vor dem Fenster. Mein Kopf pochte, und ich brauchte lange, mich zu überwinden, die Stewardess um eine Kopfschmerztablette zu bitten. Sie brachte mir eine ganze Packung eines Mittels, dessen Namen ich noch nie gehört hatte. Ich starrte eine Weile auf die fremd klingende Buchstabenfolge, die auf der ausgebleichten Pappe Reise nach Jerusalem zu spielen schien. Ich versuchte, nicht mehr hinzusehen und drückte zwei Tabletten aus der Packung. Als die Stewardess, die ich irgendwo schon einmal gesehen zu haben glaubte, wieder vorbeikam, bestellte ich einen Bourbon dazu. Sie hieß Camilla, das stand auf dem Schild auf ihrem Revers, und plötzlich beneidete ich sie um diesen Namen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren sein musste, vermutlich wollte ich von meinem Unwohlsein darüber ablenken, dass ich mitten am Tag ein so hartes Getränk bestellte, aber als sie mir den Whiskey in einem Plastikbecher reichte, sagte ich es ihr. »Danke«, lächelte sie, »aber Maria ist doch auch ein schöner Name.« Ich zuckte mit den Schultern und lächelte zurück. Dann sah ich an mir herunter, ob mir jemand ein Namensschild an die Brust geheftet hätte, doch da war nichts.
Als ich wieder aus dem Fenster schaute, war der winzige graue Vogel, der unseren Flug vom Start an verfolgt hatte, immer noch da. Er flog stetig ein Stück unter dem Flugzeug her, geschickt die Wolkenberge umkreisend, und ich verlor mich in den Bewegungen des Vogels, bis mir aufging, dass kein Vogel in dieser Höhe fliegen könnte, dass der Vogel der Schatten unseres Flugzeugs sein musste, und dass seinen Schatten schließlich noch niemand jemals losgeworden ist. Wie um mich eines Besseren zu belehren, begann der Satz Es geschah aber, als die Zeit sich häutete und die Leute glaubten, es sei eine neue Schlange, die da glitzernd hervorkroch - dass der schwarze Mond die Sonne auffraß und die Dinge ihren Schatten verloren sich wie eine mahlende Zumutung in meinem schmerzenden Gehirn zu drehen. Ich zerbrach mir eine Weile den Kopf, woher dieser Satz kam und wo ich ihn vor kurzem gehört hatte, doch es fiel mir nicht ein. Ich ließ den Blick wieder mit unserem Schatten gleiten, bemüht, nicht nachzudenken, damit der dumpfe Schmerz in meinem Gehirn, der sich mittlerweile diffus auf den ganzen Kopf bis in die Nackenmuskeln hinein ausgebreitet hatte, nicht stärker wurde. Als Camilla wieder vorbeikam, bestellte ich noch einen Bourbon, und jetzt war es mir beinahe egal, was sie über mich dachte.
Ich merkte, wie der Alkohol in meinen Blutkrei slauf eindrang, und um der bleiernen Schwere, die meine Glieder in den Sitz drückte, einen Ausgleich zu schaffen, stellte ich mir vor, wie das golden schimmernde Getränk glucksend durch meine Adern lief und mein dickes, rotes Blut verdünnte. Was sinnlos war und die Wirkung
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