Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott-Poker (German Edition)

Gott-Poker (German Edition)

Titel: Gott-Poker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Scholz
Vom Netzwerk:
bis ich die Augen schließen und mich fragen muss, ob ich jetzt vollends den Verstand verloren habe, und dann sind da natürlich noch die ganzen Toten auf dem Friedhof, aber die kann man mit Wolken wohl nicht beeindrucken.
    Mich hingegen kann man in letzter Zeit ziemlich leicht beeindrucken. Da muss er nur über meine Wange streichen und etwas sagen, das so ähnlich klingt wie love, und schon ist es um mich geschehen. Ich ging ins Bad und sah mich im Spiegel an. Ein paar Mal maß ich die Entfernung von meiner N asenspitze zu der Nasenspitze meines Spiegelbildes mit dem Finger ab. Das hilft meistens, denn es ärgert mich, dass die Gestalt im Spiegel nicht näher herankommt, obwohl man sie bittet und ihr winkt und sie mit dem Finger lockt. Ich gab es auf und schminkte mich. Dann zog ich ein anderes Kleid an und ging an dem alten Mann an der Rezeption vorbei, der ununterbrochen etwas in ein kleines Kästchen murmelt, das vor ihm auf dem Tresen liegt. Ich trat hinaus auf die Straße.  
     
    »Nicht so schnell«, sagte der Doktor, der plötzlich hinter mir aufgetaucht war, in mein Ohr. Ich zuckte zusammen.
    » Sie wissen doch, dass Sie nicht so schnell gehen dürfen. Schon gar keine Treppen. Bei dieser Hitze.« 
    » Ja, ich weiß«, sagte ich. »Aber ich kann doch nicht immer am Pool herumliegen. Ich wollte mir nur die Stadt ansehen.«
    » Kommen Sie«, sagte der Doktor. »Wir setzen uns dorthin.«
    Wir setzten uns auf die weißen Stufen. Der Do ktor setzte sich eine Stufe über mich. Einige Jugendliche saßen auch auf den Stufen, sowie alte Männer, die einander mit zahnlosen Mündern zumurmelten und ein mir nicht begreifliches Murmelspiel spielten. Jeder von ihnen hatte eine braune Flasche neben sich stehen, aus der er in regelmäßigen Abständen kleine Schlucke nahm. Sie stellten die Flaschen mit einem Klirren wieder hin und spuckten aus, alle in eine kupferne Schale, die eigens zu diesem Zweck in die Stufen eingelassen zu sein schien. Sie war voller Grünspan.
    » Trinken sie Bier?« fragte ich den Doktor und nickte mit dem Kopf in Richtung der zahnlosen Männer. »Bier? Nein«, sagte der Doktor, »das ist Rum. Selbst gebrannt. Sie füllen ihn in leere Bierflaschen.«
    Der Stein war warm von der Sonne.
    »Haben Sie die vielen Katzen gesehen?« fragte ich. Der Doktor antwortete nicht. Ich drehte mich zu ihm um. Er schrak auf und holte seinen Blick merklich mühsam aus weiter Ferne zurück.
    » Die Katzen? Ja, natürlich«, sagte er dann. »Sie wohnen alle in dem alten Turm oben beim Kloster. Alle Katzen der Stadt wohnen dort. Tagsüber kommen sie herunter. Sie fangen am Markt und am Hafen Mäuse. Sie streunen überall in der Stadt herum. Einige haben sogar eine Familie, zu der sie gehen und sich streicheln lassen. Zu meiner Tochter kommt auch eine. Sie kommt nur am Nachmittag. Chiara liebt sie. Aber sobald es dunkel wird, stromern sie alle hinauf zum Turm. Bei Sonnenuntergang gibt es eine Katzenkarawane aus der Stadt. Der ganze Weg ist dann voller Katzen. Wenn es Ihnen besser geht, können wir hinaufgehen und es uns ansehen. Wenn Sie wollen«, fügte er hinzu.
    » Merkwürdig«, sagte ich.
     
    Del Toro sitzt stocksteif und starrt in die grün leuchtenden Augen einer fremdländischen Katzenstatue, die auf einem Hocker im Esszimmer der Baronin steht.
     
    Erst gestern Nachmittag, weil sie sich mit ihrem Sohn so schrecklich gelangweilt hatte, war die Baronin in den Schreibwarenladen an der Kreuzung gegangen, hatte sich eine Zeitung und, ohne recht zu wissen, warum, eine kleine Schachtel mit phosphoreszierendem Pulver gekauft, die dort zwischen den noch von Fasching übrig gebliebenen Schminkschachteln und Cowboyhüten lag. Kichernd war die Baronin wieder nach Hause gegangen, wo ihr langweiliger Sohn herumsaß und in einem Buch las. Die Baronin hatte überlegt, was sie mit dem phosphoreszierenden Pulver anfangen könnte, und war zu dem Schluss gekommen, dass es sich am besten in den Augen der fremdländischen Katze machen würde. Die Statue stand in ihrem Esszimmer, seit es eines Tages, nur wenige Wochen, nachdem Nicolas sie mit ihrem Sohn, der damals nur wenige Wochen alt gewesen war, allein gelassen hatte, an der Tür geklingelt hatte und vier Männer die massive Marmorkatze in die Wohnung gewuchtet hatten. Die Baronin hatte die Männer nicht gefragt, wer der Auftraggeber war, da sie vermutete, die Katze sei vielleicht eine Art Abschiedsgeschenk. Nicolas war eines Morgens aus der Wohnung gegangen und am Abend

Weitere Kostenlose Bücher