Gott-Poker (German Edition)
dem Zimmer und hinunter in die Kantine des Krankenhauses, bestellte sich einen Kaffee und setzte sich damit in den Garten hinaus. Er trank den Kaffee, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und nahm den Haufen Papier aus seiner Tasche. Er begann zu lesen.
Milchrausch
Die Frauen, die auf dem Marktplatz um den Brunnen herumlungerten, trugen Kopftücher. Es gefiel ihnen gar nicht, dass ich auch eines trug. Als ich es abnahm, erschraken sie, weil ich darunter keine Haare hatte, nicht so wie sie, die sie dicke, schwarze, ölige Zöpfe in die Tücher gewickelt hatten. Sie warfen mit Händen voller Sand und Steinen und mit Schimpfworten nach mir und jagten uns über den Platz, die Tücher mit den Haaren wippten auf ihren Köpfen, gegerbte Haut, darin die Münder schwarz verzerrt und laut. Wir mussten uns hinter einem Stand verstecken, wo es nach fauligem Fleisch und Gegorenem stank. Wir hielten die Luft an, bis die Frauen im Gewirr der Stände verschwunden waren. Die Frau, der der Stand gehörte, schüttelte unablässig den Kopf hin und her, es sah aus, als säße der Kopf locker und könnte jeden Moment herunterfallen. Ihr Mann brummte dazu und schenkte uns jeder einen Apfel, den er an seinem Ärmel blank gerieben hatte. Er sagte etwas, das böse klang, und spuckte aus, in Richtung der Frauen, die nicht mehr zu sehen waren.
Wir lächelten und zuckten die Schultern, wir bedankten uns und gingen weiter, der Marktplatz dre hte sich und schwirrte vom vielen Luft anhalten und ich musste das Kopftuch wieder aufsetzen, denn die Sonne brannte heiß auf meinen kahlen Kopf.
Maria zog mich durch kühle Kirchen, die ganz verfallen waren, das heißt, sie zog mich zu kühlen Kirchen, denn sie durfte nicht hinein, ich ging immer zuerst hinein, weil ich das Kopftuch hatte, und ohne Kopfbedeckung darf man als Frau nicht in die orthodoxen Kirchen. Dann kam ich wieder heraus und musste Maria das Kopftuch geben, aber manchmal sagte ich: ›Lohnt sich nicht, da rein zu gehen‹, weil ich nicht alleine und ohne Kopfbedeckung draußen herumstehen wollte. Obwohl es sich gelohnt hätte, denn drinnen war es kühl.
Kühl und dunkel ist es in den Kirchen, erleuchtet sind sie nur durch selbst gemachte Kerzen, die in Wasserbehältern flackern und sich spiegeln. Es ist schön in den Kirchen, die Frauen auf den Bildern tragen auch alle Kopftücher, aber in blau, das ist die Maria, blaues Kopftuch, das ist einfach und leicht zu merken, die Gottesgebärerin trägt blau und meistens ein Kind auf dem Arm.
Mein Kopftuch hingegen war eigentlich weiß, aber jetzt nicht mehr, weil es staubig war und voller Öl, weil man sich dauernd einölen musste gegen die Sonne die so brannte, und jedes Mal kam ich mit der Hand wieder ans Kopftuch, das bereits einen fett igen, braunstaubigen Rand hatte. Auf meiner Stirn war auch ein Rand, ein weißer, aber immerhin roch das Kopftuch bereits nach Cocos wie unsere Haut, Cocos und Staub, und die Maria, die draußen im spärlichen Schatten von irgendwas auf mich wartete, trank warmes Wasser aus einer Plastikflasche und ist keine Gottesgebärerin.
›Hier lang‹, sagte sie, als ich abwinkte, und wir gingen. Ich trottete hinter ihr her und sah ihren la ngen Haaren zu, wie sie auf ihren schmalen Schultern wippten und einen Mordsspaß hatten.
Von hinten kommen Straßenjungs gerannt, eine ausgemergelte Horde ohne Schuhe. Mit dünnen Ärmchen klammern sie sich um unsere Leiber, sie springen auf unsere Rücken und schreien, sie greifen uns mit ihren schmutzigen, kleinen Händen an die Brüste, an mir hängen zwei, an Maria nur einer, und plötzlich brüllt sie, brüllt so laut, dass es hallt in der Straße, die menschenleer ist bis auf uns, sie erschrecken und lassen von uns ab, mit riesigen schwarzen Augen, sie laufen nicht weg sondern schleichen langsam, zögernd rückwärts mit bloßen Kinderfüßen durch den Staub, verschwinden hinter Mülltonnen und durch schwarze Löcher in den Häusern, und ich weiß nicht, ob ich erregt sein darf, wegen der Hände auf meiner Brust, gierige Straßenkinderhände von vielleicht neun Jahren.
Maria sah mich an, und ich wusste, dass ich mich nicht trauen würde, das zu sagen, auf keinen Fall. ›Lass uns gehen‹, sagte sie.
›Weißt du, wohin‹, fragte ich, aber Maria hörte es nicht, sie war schon voraus.
Einmal, als wir noch klein waren, wollte ich sie beißen. Sie war über mich gefallen, wir waren gerutscht, ich zuerst, und ich war nicht
Weitere Kostenlose Bücher