Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Stühlen bequem zu machen versuchte und die Bierflasche im Sektkühler klirrte, da das Eis schmolz.
Nur im amtlichen Cadillac fühlte er sich einigermaßen wohl. Die tiefen Sitzpolster waren häuslich-vertraut, die Luft im Inneren war so kühl, daß sie beinah nach Pfefferminz schmeckte. Wie im Sport war es schwierig, der russischen Mannschaft auf heimischem Platz zu begegnen, schwieriger aber noch auf neutralem Boden.
Die Konferenz begann unter einem schlechten Stern. Kaum waren die Delegierten im Saal versammelt, als die sowjetische Delegation geschlossen auszog. Aus Protest, wie nachträglich verlautete, gegen die neuen Eskalationsphasen, die O’Hehir mit seinem gewohnt machiavellistischen Sinn für die Wahl des Zeitpunkts an diesem Morgen in Kraft gesetzt hatte. Ein kleiner Atomsprengkopf war auf die Hafenanlagen einer Stadt gefallen, die als Tong-Aum angegeben wurde. Auf Grund falscher Berechnungen, verständlich in Anbetracht der Schwierigkeiten bei der Nachrichtenübermittlung, hatten die Amerikaner ihre Entschuldigung für diesen Zwischenfall eine Dreiviertelstunde vor dem »versehentlichen« Abwurf des Sprengkopfes veröffentlicht. Die nordvietnamesische Regierung meldete, ein Krankenhaus, eine Schule, ein Altersheim und weitere hundert Häuser seien völlig zerstört worden. Die Amerikaner antworteten sofort mit einem Kommunique, das solche Angaben als »übertrieben« bezeichnete. Sie beteuerten ferner, daß fraglicher Sprengkopf nicht größer gewesen sei als ein Transistorradio, daß er vor seinem Einsatz aufs gründlichste in Nevada getestet und daher als »völlig sauber« zu bezeichnen sei, soweit Bomben sauber sein könnten. Allerdings unterstrich das Kommunique die Schwierigkeit, einen so kleinen Sprengkopf zielgenau abzuwerfen, weil mit einer »durch Wind und atmosphärische Verhältnisse« bedingten Abweichung zu rechnen sei. Auf Grund dieser Gegebenheiten, so wurde eingestanden, sei der Sprengkopf nicht genau auf das beabsichtigte Ziel niedergegangen. Der Fehler sei dadurch zustande gekommen, daß nur ein »Probeabwurf« geplant gewesen sei, daß aber irrtümlich eine gefechtsklare Waffe bei dem Angriff mitgeführt worden sei. In Zukunft, so hieß es, müßten die Nordvietnamesen selbst die Verantwortung tragen, falls größere Schäden aufträten als beabsichtigt, denn ihr Beharren auf dem Einsatz neuester, von den Sowjets hergestellter Anti-Tiefflieger-Boden-Luft-Raketen zwinge die amerikanischen Luftoperationen, in große Höhen auszuweichen, aus denen das wünschenswerte Maß an Zielgenauigkeit bei »einem Sprengkopf von nur zehn Unzen Gewicht« nicht mehr gewährleistet sei. Das Dokument schloß mit eindringlichen Mahnungen an die Adresse der Nordvietnamesen, auf den gefährlichen Luxus einer Selbstverteidigung zu verzichten, und unterstrich, daß ihnen stets ein Platz am Konferenztisch offenstünde.
Am zweiten Sitzungstag erschien die sowjetische Delegation wieder vollzählig – hauptsächlich, weil die Nachrichtenagentur Neues China eine vernichtende Attacke auf die »verbrecherische Untätigkeit der Sowjets bei der Verteidigung ihrer sozialistischen Bruderländer« geritten, und weil China mehrere Regimenter von »Freiwilligen« und »Jungen Pionieren« in den Kampf geworfen hatte.
Ohne die feierliche Eröffnung einer Konferenz von solcher Größenordnung und Bedeutung abzuwarten, entfesselte der sowjetische Verteidigungsminister, Marschall K. S. Pribalkow – ein wuchtiger Mann mit grauem Haarschopf und einer witzig in die Stirn fallenden Locke –, eine brüllende Anklage gegen die »neuerlichen Verbrechen kapitalistischer Banditen und imperialistischer Barbaren«. Nichts vermochte ihn aufzuhalten. Dolmetscher und Berater wurden von der ungehemmten Gewalt seiner Attacke davongeschwemmt. Immer wieder krachte seine Faust auf den Konferenztisch. Federhalter und Tintenfässer wackelten, Löschblätter schienen zu atmen, wenn der Windstoß seiner ausholenden Gebärden zwischen sie und die ledernen Schreibunterlagen fuhr. Die Amerikaner fühlten sich ihrerseits in Versuchung, den Konferenzsaal zu verlassen, doch Mr. Crust mahnte zur Vorsicht, weil es, wie er begründete, unschicklich wäre für die US-Delegierten, eine Rede zu unterbrechen, die keiner von ihnen verstand.
»Ist doch klar, was er sagt!« brummte der Präsident. »Er hat etwas gegen uns.«
»Das dürfen wir nicht einfach voraussetzen«, zischte der Außenminister. »Die Augen der ganzen Welt ruhen auf uns.«
Tapfer
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