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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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vergebens. Sie probierte es mit Namen wie Mary Buda, Maritza Liszt und Marimka Csardas, aber anscheinend lag kein Zauber in solchen Pseudonymen. Lajos zuliebe pflegte sie zu sagen, daß sie beide ja mehr oder minder verheiratet wären, da keiner von ihnen andere Versuchungen kenne. Was ihn betraf, hatte sie recht; doch ihre Augen hatten sich angewöhnt, auffordernde Blicke nach links und nach rechts zu werfen, eine Gewohnheit, die sie als unerläßlich in ihrem Beruf ansah. Ihre kunstlose Flirterei, die immer jämmerlicher wurde, war nicht dazu angetan, Lajos zu trösten, der zu schwer gelitten hatte, um noch klar urteilen zu können. Während des Krieges wurde Mizzi sonderbar patriotisch und weinte ausgiebig beim Gedanken an ihre »arme Heimat« unter den Händen »dieser Deutschen«. Wenn man sie hörte, konnte man meinen, sie sei eine entthronte Kaiserin, die den Verlust ihrer Ländereien und Kronen beklagte. »Nie wird die jüngere Generation das Leben kennenlernen, das wir führten«, pflegte sie säuerlich zu predigen, »die Husaren mit ihren blitzenden Tschakos, ihren pelzbesetzten Jacken, so sorglos über die Schulter geworfen, ihre Galanterie – ah, wie die Komplimente flossen! Am Schluß eines fürstlichen Banketts ritten sie dann auf weißen Pferden über die langen Tische und verschonten die Tokaier-Flaschen mit solcher Eleganz, ach, mit solcher Eleganz!«
    In dieser Schilderung des Lebens in der Heimat gab es nichts, was Lajos wiedererkannt hätte. Die Wahrheit ist, Mizzi hatte zur Flasche gegriffen, weil die Realität ihr zu trübselig war, und betrunken lebte sie in der rauschenden Welt des Musicals. Bei einer Gelegenheit erlaubte Lajos es sich, die Geduld zu verlieren, und schrie sie an: »Ich habe es dir schon einmal gesagt, und ich sage es dir abermals, das Leben ist keine Operette!«
    Er knallte die Tür, nur um die Demütigung zu erfahren, ihre betrunkene Stimme in verwaschenem Gewürzgurken-Sopran auf zuckrigen Passagen aus Deine Stimme ist wie eine Symphonie entschweben zu hören. Anscheinend hatte seine Erwähnung des Wortes »Operette« sie in Stimmung gebracht.
    Der Krieg ging vorbei, und Lajos wurde melancholisch. Er war nicht mehr bei bester Gesundheit. Er wünschte, er hätte die Charakterstärke, sich von der unerträglichen Last seiner Verpflichtung gegenüber dieser Frau zu befreien, aber eine seltsame Schicksalhaftigkeit band sie aneinander. Diese sinnlose Romanze hatte so viel von seinem Leben beansprucht, daß er sich ohne sie ganz verloren gefühlt hätte, als drohte einem mit seiner Blindheit versöhnten Mann in so spätem Alter das Augenlicht geschenkt zu werden, daß es ihm nichts mehr bedeutete. Seine Liebe war eine Krankheit geworden, ohne die der Körper nicht mehr auskommen konnte. Er besuchte sie häufiger – tatsächlich jeden Tag. Er kochte sogar für sie, wenn er ein paar Stunden frei hatte. Sozialer Aufstieg hatte ihn ereilt, und das »Come-n-Gettit« war in eine solidere Gegend umgezogen und hatte sich den Namen »Filet Mignon« beigelegt. Jetzt war er stellvertretender Oberkellner des Etablissements und schien einen gewissen Stolz daraus zu schöpfen, daß er rund um die Uhr einen Frack trug. Selbst außer Dienst trug er sein feierliches Gewand und reckte sein hageres Haupt hoch unter seinem Wust grauen, drahtigen Haars. Die Kellner nannten ihn »den Diplomaten«. Der Grund für diese sonderbare Gemütsruhe war, daß Mizzi in einen Zustand halb hilfloser Gleichgültigkeit abgeglitten war. Sie erlaubte ihm, manche Dinge für sie zu tun, ohne zu protestieren. Eine Melancholie hatte sie erfaßt, eine Resignation. Sie sprach nicht mal mehr soviel, und wenn sie es tat, dann ohne Farbe, ohne Erfindungsgabe. Sie waren verheiratet – in allem, bis auf den Namen. Sie hielten nicht mehr Händchen, aber sie gestattete ihm, ihre Hand in seine zu nehmen, ohne zu reagieren. Die zahnlose Löwin hatte womöglich noch Träume von Glanz und Ruhm, doch sie behielt sie majestätisch für sich. Sie war abgeklärt geworden. Nur gelegentlich bildete Lajos sich ein, einen beunruhigenden schrägen Blick voll unendlicher List in ihren Augen zu bemerken, meist, wenn sie sich nicht beobachtet glaubte. Eines Tages, er hatte gerade Kohlrouladen für sie gekocht, bemerkte er diesen verstohlenen dunklen Blick, zugleich berechnend, boshaft und schrecklich.
    »Woran denkst du?« fragte er.
    Sie wachte aus ihrem Tagtraum auf. »Rache«, antwortete sie schlicht.
    »Rache? An wem?«
    »An euch allen«,

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