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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
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meinen Adern staute sich, das Atmen fiel mir
schwerer. Dann sagte er ruhig: „Ich soll dich ersetzen!“
    Ich zuckte
zusammen. Dann fragte ich leise: „Mich ersetzen? Was bedeutet das? Dazu müsste
ich doch verschwinden, falls mein Verstand noch funktioniert.“
    „Er funktioniert
noch“, gab er ungerührt zurück.
    Ich war sprachlos,
und meine Kinnlade kippte nach unten.
    „Mund zu, es zieht.
Kleiner Witz, hab ich von dir gelernt.“ Konrad war aufgestanden und ging zum
Herd. Er nahm zwei tiefe Teller aus dem Schrank, schöpfte Suppe und stellte die
beiden Teller auf den Tisch. Dann holte er den Hartkäse, eine Reibe und zwei
Löffel. Schließlich schnitt er das Weißbrot in Scheiben, legte zwei Servietten
neben die Teller und bat mich zum Essen. Ich humpelte vorsichtig zu ihm
hinüber, nahm Platz und stellte fest, dass ich den Tisch genauso gedeckt hätte.
Meine Augen ließen ihn nicht los - meinen Bruder Konrad.
    „Guten Appetit“,
wünschte er mir und nahm ein Stück Brot. Er legte es zurück und sagte lächelnd:
„Wie konnte ich es nur vergessen!“ und stand auf. Er öffnete den Kühlschrank
und holte eine schlanke Flasche hervor. „Soave classico, eiskalt, wie er sein
soll. Er ist noch jung. Ganz guter Jahrgang. Ob er noch moussiert?“, fragte er
mich.
    „Mir ist nicht nach
Wein. Antworte mir. Was soll das mit dem Ersetzen?“
    Es schien ihm Spaß
zu machen, mich vorzuführen. „Er sollte moussieren! Frisch muss er schmecken,
und trocken muss er sein. Zu einer Minestrone gerade recht“, schloss er und
goss mir einen hohen Becher voll. „Alte Weingläser, dickes Glas und
handgeschliffen; sie gehören zum Haus, ich habe sie hier vorgefunden. Ein
Grund, warum ich dieses Haus gemietet habe - nicht der Hauptgrund, aber
immerhin auch einer.“ Er trieb ein Spiel mit mir.
     Ich schüttelte den
Kopf, der Satz hätte von mir sein können. Ich forderte ihn provozierend auf:
„Konrad, du Blödmann, rede mit mir!“
    Konrad fixierte
mich. „Es ist nicht nur so, dass ich dich äußerlich kopiere. Ich habe auch zu
denken und zu fühlen gelernt wie du.“ Er trank einen Schluck. „Aber ich muss
schon sagen, dass all das, was ich lernen musste, um so zu sein wie du, mir
nicht sehr schwer gefallen ist, denn im Grunde fühle ich tatsächlich so, und
das ja wohl seitdem sich Vaters Keim und Mutters Ei getroffen haben, was meinst
du?“, fragte er leicht provokant.
    Ich brach ein Stück
Brot, rieb Käse in die Suppe, nahm den Löffel und aß.
    „Es schmeckt
wirklich sehr gut“, stimmte ich aufrichtig zu. „Ich koche sie genauso. Aber das
war ja klar!“
    „Das freut mich,
doch ich habe mehr Bohnen hinein gegeben als du, glaube ich.“
    Ich aß weiter, dann
versuchte ich die Frage erneut, die mich beunruhigte: „Konrad, was bedeutet das
alles? Warum bist du hier mit mir allein?“
    „Walter, ich werde
dir eine Geschichte erzählen. An jeder Stelle dieser Geschichte wirst du mich
laut verfluchen wollen, doch ich möchte dich bitten, mir zuzuhören, damit du
lernst, die ganze Tragweite zu begreifen.“ Er blickte zu mir herüber und
wartete auf ein Zeichen. Ich nickte zögernd, aber deutlich.
    „Es ist eine
bittere Geschichte. Während du eine glückliche Kindheit gehabt hast - das ist
doch richtig?“, fragte er mich und sah mich an, bis ich erneut nickte „... habe
ich eine Hölle hinter mir gelassen.“ Seine Stimme war fest. „Ich werde dir
erzählen, was sie mit mir angestellt haben. Es hat viel mit unseren Eltern zu
tun.“
    Unseren Blicken
hielten wir gegenseitig stand; die Hände hatten wir jeweils unter unserem Kinn
verschränkt. So verging eine Zeit, bis Konrad den Löffel wieder in die Hand
nahm und auf seinen Teller starrte. „Walter, ich habe mich entschlossen, hier
bei dir zu sein, um dich zu beschützen“, offenbarte er und blickte wieder zu
mir herüber.
    „Zu beschützen?“,
rief ich hämisch. „Was bildest du dir eigentlich ein! Was redest du nur die
ganze Zeit? Eben wolltest du mich noch ersetzen, jetzt willst du mich
beschützen. Vor wem? Ich habe keine Todfeinde, ich wüsste nicht, wer mir etwas
tun sollte!“ Ich sprach so, weil ich seine Worte nicht wahrhaben wollte und vor
allem nicht, dass er Vater und Mutter ins Spiel brachte; deshalb versuchte ich,
seine Ausführungen von mir fern zu halten wie eine kleine Katze, die durch ihr
Fauchen eine riesige Dogge auf Distanz hält.
    „Vor mir.“ Das saß.
„Walter, sie wollen dich töten, und ich soll anschließend deine

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