Gott wuerfelt doch 1
ganzem
Herzen, aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit eine Familie zu gebären. Und
irgendwie erfüllte es mich mit Glück, ihnen zuzuhören. Ich trank und trank mit
ihnen, die Gläser zersprangen eins ums andere an der Wand, und wir leerten
Flasche um Flasche.
Irgendwann stellte
ich dann aber doch die Frage, enthemmt vom Wein und ermutigt vom Geist des Moments:
„Dimitrios, wieso warst du mein Lehrer, ich meine in Griechisch?“ Ich sah ihn
doppelt.
„Darauf habe ich
gewartet.“ Er hielt sich mit beiden Händen an seinem Glas fest und wand sich
darum, als sei es am Tisch festgenagelt. „Ich musste es tun!“, sagte er und
versenkte seine Augen in seinem Glas. „Sie haben mich damals damit beauftragt,
dich in allen Einzelheiten zu studieren“, jetzt sah er mir in die Augen, „mir
alles zu merken, was deine Person betrifft. Und ich muss sagen, ich war
überrascht.“ Er räusperte sich laut und deutlich. „Zunächst einmal davon, wie
einfach es war, an deiner Schule anzuheuern. Aber dann auch von dir! Du warst
ein unkomplizierter und angenehmer Bursche, genau wie dein Bruder.“ Er machte
eine Pause und hatte jetzt Konrad im Blick. „Deine besonderen Verhaltensweisen
herauszufinden war nicht schwierig, denn ein Kind ohne Marotten und besondere
Auffälligkeiten - außer seiner Intelligenz - ist einfach zu verstehen. Nach
einem Jahr kannte ich dich bestens. Und in die Zukunft brauchte ich nur zu
interpolieren.“
„Was hast du für
Voraussetzungen, dass man dich dazu ausgewählt hat?“, fragte ich gespannt. Der
Alkohol schien aus meinem Gehirn gewichen, ich schien jetzt wieder klar zu
sein.
Er sah mich ernst
an, dann lachte er laut und schallend. Ich kam mir naiv vor, nur wusste ich
nicht, warum. Konrad gab mir mit trunkenem Blick zu verstehen, ich solle
einfach abwarten. Als Dimitrios zu lachen aufhörte, wurde er wieder schlagartig
ernst. „Ich bin nicht nur Altphilologe, sondern auch Psychologe. Nun, wen sonst
hätten sie nehmen sollen, um das Verhalten zweier Kinder perfekt aufeinander
abzustimmen, als einen Psychologen, hä?“, lallte er mich rau an. „Einen
Barmixer vielleicht“, lachte er. „Obwohl ich auch da meinen Mann gestanden
hätte.“ Er erhob sich, rülpste und hielt sich dabei den Bauch. „Dimitrios
Filipákis, der große Philologe und noch größere Psychologe und allergrößte
Barmixer!“, verhöhnte er sich. Dann verließ er den Raum und grölte draußen
gegen den Wind an. Wir folgten ihm und sahen, wie er sich mit dem Rücken zum
Wind erleichterte. Wir taten dasselbe und lachten, lachten so laut, wie ich
seit Monaten nicht mehr gelacht hatte. Anschließend kehrten wir in die Küche
zurück und nahmen wieder Platz. Dimitrios erzählte weiter aus seiner Zeit als
Lehrer und wie verschroben ihm die westdeutschen Kollegen vorgekommen waren.
„Und wie kamst du
hierher? Ich meine, warum gerade nach Kárpathos?“, fragte ich mit müder Zunge,
denn Konrads Erklärungen erschienen mir immer noch zu märchenhaft.
Dimitrios fixierte
mich mit glasigen Augen. „Sie haben mich nach Amerika versetzt, damals, als
Konrad mir zu sehr zu Herzen ging. Sie wollten mich loswerden. Ich sollte
Recherchen betreiben in Neuengland. Ich ging anschließend nach New York. Das
Leben dort hat mich gepackt wie ein Fuchs den Hals einer blöden Henne. Ich
tauchte unter. Ich bin Amerika auf den Leim gegangen, dekadent geworden und
faul. Nach ein paar Jahren haben sie mich entdeckt, und ich wusste, sie würden
mich umbringen. Dann kam mir die Idee mit dem alten Mann, den ich kannte, und
seiner Mühle, von der er mir erzählt hatte. Nach seinem Tod erfand ich die
Geschichte des unehelichen Sohnes mit einer Deutschen und kam her, denn er
hatte keine Nachkommen. Man glaubte mir, weil ich seine Bilder dabei hatte, und
sie akzeptierten mich als Dorfheimkehrer - als Amerikáni.“
Er schenkte erneut
die Gläser voll. „Sauft, ja, sauft solange ihr noch könnt! Denn das Leben ist
zu kurz, um es nüchtern zu verbringen!“, lallte er. „ Euch hat man verhöhnt und
verheizt. Und ich war einer der Heizer, der die Kohlen in den Kessel warf! Es
hat mir zeitweise sogar Spaß gemacht. Oft aber“, seufzte er, lehnte seine Arme
auf den Tisch und wurde ganz ruhig, und ich glaube, damals Tränen in seinen
Augen gesehen zu haben, „oft aber habt ihr mir leidgetan. Ja, es stimmt. Ihr
habt mir leidgetan.“ Er schwieg und schluckte, und ich wollte ihm glauben.
„Also: Stellt eure Fragen, löchert mich und prügelt mich, denn
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