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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
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Übersoldaten züchten. Aber: Nur weil wir in Deutschland
studiert haben, waren wir nicht alle gleich.“ Er hatte das wie eine
Entschuldigung gesagt.
    Ich reagierte nur
mit einem kurzen Nicken. „Kanntest Du die Forschungen Mengeles?“, fragte ich
ihn.
    Er war jetzt sehr
still. Nur seine Zeitung raschelte. Mit dieser Frage hatte er offensichtlich
nicht gerechnet. Dann ließ er ein leises Stöhnen vernehmen. „Ja, ich habe
gewusst, was er macht, bevor er nach Auschwitz ging. Er war begeistert
von seiner Idee, hat viele Tierversuche durchgeführt. Dann ist er dem Wahn
verfallen und entwickelte die Idee, seine Versuche auch an – wie er sagte -
unwürdigem Menschenleben durchzuführen. Unwürdig nach der Definition seiner
Herren. Was er dort getrieben hat, darin war ich niemals eingeweiht. Das musst
du mir glauben. Wie kommst du eigentlich darauf?“, fragte er beinahe
vorwurfsvoll.
    „Das spielt doch
überhaupt keine Rolle, wichtig ist, dass ich es offensichtlich weiß, oder?“ Ich
war wütend über seinen Versuch, zu fliehen.
    „Ja, du hast
Recht“, gestand er. „Ich habe nichts getan, wofür ich mich schämen müsste.
Walter, glaubst du mir das?“ Er legte die rechte Hand auf mein Knie.
    Ich bejahte seine
Frage mit einem Kopfnicken. „Glaubst du, heute könnte so etwas wieder
passieren?“, fragte ich.
    Vater reagierte
bemerkenswert klar. „Ja, das glaube ich. Wir Wissenschaftler sind merkwürdige
Menschen. Manche von uns sind besonders zurückgezogen, andere wiederum
besonders extrovertiert. Wo die Grenzen der Wissenschaft angesiedelt sind,
dafür ist stets das moralische Umfeld entscheidend: Die Gesellschaft und ihre
ethische und kulturelle Grundordnung sind also ein gewichtiger Faktor für die
Arbeit der Wissenschaft. Jeder Biologe hält es für ganz normal, mit Mäusen zu
experimentieren. Würde er in einem Mäusestaat leben, würde er schlagartig
kriminalisiert und geächtet sein. Kannst du mir folgen?“
    „Ja, natürlich“,
gab ich ruhig zurück und war auf die große Conclusio gespannt, für die ich
meinen Vater so schätzte.
    Er nickte. „Einige
Wissenschaftler leben wie in einer isolierten Welt, die sie in ihrem Kopf
aufbauen. Die reale Welt um sie herum nehmen sie kaum mehr wahr. Sie arbeiten
hart und forschen und kommen oft sehr weit mit ihren Erkenntnissen. Ihnen
fehlen aber vielleicht noch die letzten Antworten. Wie oft wünschen sie sich,
den endgültigen Beweis für ihre These zu erbringen. Was ist, wenn der sich nur
am lebenden Objekt, am Menschen, erbringen ließe? Wenn dann jemand käme und für
sie die moralische Hemmschwelle quasi per Erlass hinwegfegte, dann wäre doch
ihre Stunde gekommen. Die Versuchung wäre für schwache Charaktere zu groß, um
zu widerstehen. Genau das ist mit Mengele passiert. Ich glaube, er hat das, was
er tat, gar nicht als Verbrechen gesehen, sondern als einmalige Chance
begriffen. Er war durch und durch kaputt wie so viele von seiner Generation.
Das entschuldigt ihn keineswegs, es ist nur ein Erklärungsversuch. Und heute
gibt es solche skrupellosen Kollegen auch noch. Böte man ihnen eine solche
Chance, dann würden sie zugreifen.“
    Ich hörte was er
sagte, wollte aber nicht antworten. Damals begann ich mehr und mehr, Vater die
Schuld an Konrads Tod zu geben, dafür, dass man Konrad geraubt und
konditioniert hatte, dass er ans Messer geliefert worden war und dass man ihn
mir gestohlen hatte.
    Irgendwann rief ich
Weiser an. Ich wusste ihn dadurch halbwegs zufrieden zu stellen, dass ich ihm
von neuen Vermutungen bezüglich meines Vaters berichtete, die erfunden waren
und die ich mir (trotz meines guten Gedächtnisses) aufgeschrieben hatte, damit
ich mir zukünftig niemals widersprechen musste. Ich brauchte eine glaubwürdige
Lüge, um Weiser hinzuhalten. Wie lange ich das durchziehen konnte, war mir
nicht klar, denn ich war mir bewusst, dass eine Luftblase irgendwann zerplatzen
musste. Trotzdem hatte ich eine Geschichte um ein Forschungsvorhaben
konstruiert, das gar nicht existent war. Ich würde es Weiser auftischen und
ausprobieren, wie weit ich damit kommen würde.
    *
    Es war Mitte Juli
1989. In Köln schien die Sonne. Es war heiß, und vom Areal der Paviane drangen
Geschrei und beißender Gestank zu mir. Ich ging an den Zaun, der die künstliche
Felsenburg der Horde umgab, um Mensch und Tier voneinander fern zu halten.
Diese Tiere seien gefährlich, hatte Vater mir gesagt, als ich sechs Jahre war.
Ich hatte damals bemerkt, meiner Meinung nach

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