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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Kreutzer
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Andeutungen wurden Legenden,
aus Signalen wurden Taten, und in mir stellte sich das Gefühl ein, dass es
vorbei sein könnte mit meiner inneren Gefangenschaft. Ich begann zu beten, zu
beten für den Osten, für die Welt und für mich.
    Aus Angst vor einer
möglichen Enttäuschung verbot mir meine innere Stimme, an den Sturz des Ostens
zu glauben. In der Deutschen Demokratischen Republik waren die Mächtigen fest
überzeugt, der Eiserne Vorhang werde ewig bestehen! Aber Hitler hatte auch an
ein tausendjähriges Reich geglaubt.
    Es gab also
Hoffnung, und die Unruhe der Menschen in der anderen Welt war zunehmend
spürbar. „Weiser, einmal noch werde ich dich hinhalten müssen, nur einmal
noch“, dachte ich. Wenn das gelingen würde, bestünde aller Grund zur Hoffnung,
mich aus diesem Strudel frei zu schwimmen. Wenn sich jedoch die Hoffnung als
Luftblase entpuppen würde, hätte ich einsehen müssen, dass ich überfordert war
mit dem, was Konrad mir aufgetragen hatte. Was dann?
    *
    Am 19. August des
Jahres 1989 nutzten Hunderte Ostdeutsche das Loch im Zaun der Ungarn und flohen
bei Sopron über die Grenze ins Burgenland. Die deutsche Botschaft in Wien
bereitete den ersten mutigen Flüchtlingen einen herzlichen Empfang. Die Frau
des Botschafters hatte im Innenhof der Botschaft im dritten Wiener
Gemeindebezirk Gulaschsuppe zubereitet. In hektischer Eile hatten die
Mitarbeiter des Botschafters Decken und Matratzen besorgt, und Österreich hatte
logistische Unterstützung zugesagt. Das war der Startschuss zu einer
Revolution.
    Als ich die
Nachrichten empfing, war ich sprachlos. Wie eine Erlösung kam es mir vor. Ich
spürte, dass mir die eigene Befreiung aus meinem Käfig der Täuschungen genauso
wichtig war wie die der Millionen Menschen von einem ungerechten Regime.
    Einen Tag später
versuchten mehr und mehr ostdeutsche Urlauber in Prag, über einen Zaun auf das
Gelände der Deutschen Botschaft zu klettern. Manche wurden von
tschechoslowakischen Polizisten daran gehindert, manche auch nicht; das Regime
bekam auch hier die ersten Risse und begann zu bröckeln.
    Am 1. Oktober
siegte die Beharrlichkeit über die Unmenschlichkeit: Aus der deutschen
Botschaft in Prag wurden die Menschen mit Sonderzügen in ihre ersehnte Freiheit
in die westdeutsche Republik gebracht. Ein ganzes Volk fiel in einen Taumel des
Jubels. Aus dem Zug winkten Arme von Tausenden glücklichen Menschen, die nicht
wussten und kaum eine Vorstellung davon hatten, welche Welt sie hier erwarten
würde. Doch die Kraft der Leidenschaft war enorm, Herzlichkeit war in diesen
Tagen groß geschrieben, die Muffigkeit des Alltags war der Euphorie,
Beseeltheit und Befreiung gewichen. Das Land atmete neue Luft, der Krieg war -
nach vierundvierzig Jahren – endlich vorbei.
    Am 7. Oktober kam
der Mann, der diese Bewegung erst möglich gemacht hatte, nach Deutschland.
Michail Gorbatschow besuchte die DDR. Dieser Mann schien einem Heiligen
gleichgestellt, zumindest im Westen, dort wo wir lebten. Im Osten hingegen
wiesen die Mächtigen Gorbatschows Politik höflich aber deutlich zurück. Meine
Hoffnung erlitt erneut einen Rückschlag. Wie leicht ich zu beeindrucken war von
diesen Sprüchen, die - wie die Zukunft weisen sollte - um nichts mehr wert
waren als schwüle Wandlitzer Luft.
    Mit dem Beginn des
Novembers nahmen die Demonstrationen im Osten Deutschlands zu. Die Menschen
wurden mutiger, zuversichtlich, dass die Polizei und die Armee es nicht wagen
würden, einzugreifen und Menschen zu erschießen. Das Volk war aufgewühlt,
verhielt sich jedoch ruhig und vernünftig. Es bot der Macht keine
Angriffsfläche, keine Möglichkeit, begründet zuzuschlagen. Außerdem schienen in
den Reihen der Exekutive genug Menschen zu sein, die selbst nicht mehr wollten:
Das Regime hatte sich längst an die Wand oder besser: an die Mauer gefahren.
    Am 9. November
strömten die Menschen zusammen. Lange Züge von Plastikautos aus der DDR kamen
in den Westen. Als ich die Fernsehbilder sah, kamen mir Tränen der Freude und
Erleichterung. Mein Gefühl war für die Menschen da, ich dachte jetzt erst in
zweiter Linie an mich. Allerdings wurde mir klar, welche praktische Seite das
Ganze für mich bekam. Ich brauchte niemand mehr Rede und Antwort zu stehen. Sie
würden mich in Ruhe lassen.
    Der Westen hatte
anscheinend über den Osten gesiegt, so zumindest würde Weiser es empfinden, er
der Westbürger, der zum Osten übergelaufen war, er würde sich fühlen wie ein
angeschossener Keiler, und

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