Gott wuerfelt doch 1
daher würde er gefährlich sein. Auf der anderen
Seite würde er mir kaum mehr etwas anhaben können, denn die Organisation hinter
ihm würde sich sicherlich ebenso auflösen wie der Staat, der das gerade vor den
Augen der Weltöffentlichkeit tat; es sei denn, er würde aus persönlichen
Beweggründen zuschlagen, aber das hielt ich im November 1989 noch für
unwahrscheinlich.
*
Das Leben hatte
mich wieder. Zwar war meine Stelle an der Universität längst anders besetzt
worden, und meine Eltern bezahlten meinen Lebensunterhalt; aber ich suchte
meinen Professor auf und bat ihn um Verschwiegenheit. Er freute sich, mich zu
sehen und versprach Diskretion. Ob ich geheilt sei und ob es mir wieder gut
gehe? Ich bat ihn darum, weiterarbeiten zu dürfen. Nicht etwa für sein
Institut, sondern in Eigenverantwortung für meine Promotion; ich konnte ihn
überzeugen, dass mein Thema für die wissenschaftliche Welt auch weiterhin von
Bedeutung sei.
Das Leben
entwickelte sich normal, hoffnungsvoll und nach vorne gerichtet. Ich fühlte
mich wohl, lernte freundliche Menschen kennen, und das Lachen kehrte zurück in
mein Herz. Ich machte Urlaub in Ungarn und in Italien, verliebte mich mehrmals,
zwar eher oberflächlich, aber ich hatte schöne Zeiten.
Meine Eltern wurden
ruhiger, fröhlicher, und ihre Vertrautheit mit mir wuchs wieder. Sie hatten es
für sich als Phase der Vergangenheit abgetan. Niemals mehr hatten sie mich
gefragt, was damals wirklich passiert war. Ich fühlte mich sicher, wenn auch
die Zeit noch nicht reif für mich erschien, ihnen all das Schreckliche der
Vergangenheit um Konrad zu erzählen. Meine Mutter war noch zu labil, das musste
noch warten. Eines Tages jedoch, eines Tages würde ich mich öffnen, ich würde
Ihnen von ihm berichten, und dann endlich würden wir unseren Frieden finden
können.
Am 19. Februar 1993
aber kamen sie. Sie waren zu zweit und klingelten an unserer Haustür. Ich
hörte, wie ein Mann meine Mutter fragte: „Wohnt hier ein Konrad Landes?“
„Nein“, hörte ich
meine Mutter lachend sagen, „das muss eine Verwechslung sein. Das ist zwar
unser Familienname, aber mein Mann heißt nicht Konrad und mein Sohn heißt nicht
Konrad.“ Sie schien amüsiert. Ich war wie paralysiert aus dem Wohnzimmer zur
Tür geschritten und stand jetzt dicht hinter ihr. Ich wusste, dass die Vergangenheit
mich eingeholt hatte. Es begann alles von vorn.
„Ach ja“, sagte der
Polizist. „Wer sind denn sie?“, fragte er mich. Mutter hatte sich umgedreht und
meinte: „Das ist mein Sohn, Walter.“
Der jüngere
Polizist zeigte ihr ein Bild, es war mein Gesicht, als es jünger war. „Das ist
der Mann!“
„Ja aber ...“, ich
klopfte ihr auf die Schulter, beruhigte sie und fragte den älteren Polizisten,
warum ich gesucht werde.
„Sie stehen unter
Verdacht, Ihren Bruder Walter Landes ermordet zu haben!“
Teil III: DER STURZ
Aachens Polizei
hatte vor wenigen Jahren ein neues Präsidium bekommen, es stand in der Nähe des
wohl bekanntesten Reitstadions der Welt in der Aachener Soers, jenem Teil der
Stadt, wo vor Zeiten Sümpfe und Bäche die Auen durchzogen hatten. Hier wurde
auch das neue Gefängnis gebaut.
Ich hatte geglaubt,
es sei alles schnell aufgeklärt. Keller hieß der Hauptkommissar, der mich
vernahm. Sein Büro war recht modern eingerichtet, er verfügte über einen
Computer, eine IBM-Schreibmaschine und ein modernes Telefon. Eine Lampe hing
von der Decke und war also nicht geeignet, dem Verhörten ins Gesicht zu
leuchten, dachte ich scherzhaft. Ich hatte Platz genommen auf einem weichen
Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Keller saß mir
gegenüber, trank Kaffee und fixierte mich über den Rand seiner Tasse. Mit einer
Geste bot er mir wortlos ebenfalls Kaffee an, ich bedankte mich und goss mir
ein. Er setzte seine Tasse langsam ab, ohne seinen Blick von mir zu nehmen und
fragte: „Sind Sie Konrad Landes, geboren am 17. November 1960 in Werder,
Brandenburg?“
„Richtig ist, dass
mein Name Landes ist, dass ich am 17. November 1960 in Werder geboren wurde,
aber mein Name ist Walter, Walter Landes!“, sagte ich. „Hören Sie, das habe ich
ihren Kollegen bereits erklärt, das Ganze ist ein schreckliches
Missverständnis. Ich bin nicht tot! Ich lebe!“
Keller grinste
seinen Assistenten an. Es war der ältere der beiden Beamten, die mich abgeholt
hatten.
„Wollen Sie einen
Anwalt?“
„Nein, erst mal
will ich wissen, warum ich hier bin“, gab ich zu verstehen.
„Wie Sie
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