Gott wuerfelt doch 1
Krankenkasse. Wozu hätte ich die Rechnung noch haben sollen?“
Er sah mich traurig
an. „Und die meisten Ärzte in Ungarn sind heute wohl kaum mehr aufzufinden,
weil sie Pleite gegangen sind. Sieht nicht unbedingt gut aus.“ Er schüttelte
den Kopf. „Ich werde einen Kollegen bitten, für mich einzuspringen. Ich bin für
diesen Fall wirklich kein Fachmann. Walter ... oder Konrad?“, er verbesserte
sich, „nein Walter, es tut mir Leid, wirklich.“ Wortlos drehte er sich um und
verließ den Raum.
Ich lag in der Zelle
und spürte mein Blut. Es wirbelte unruhig durch meinen Körper. Der Anwalt hatte
mir nicht geglaubt. Aber es konnte doch nicht sein, man würde meine Mutter
fragen. Sie würde hinter mir stehen, sie würde sagen, dass ich es war und nicht
ein Fremder. Mütter spüren so etwas, sie sind nicht zu widerlegen in ihrer
Sicherheit, wenn es sich um den Geruch, den Blick und das Streicheln ihrer
Kinder handelte. Mütter erkannten ihr Kind an der Stimme, am Gang und an den
Gesten, sie erkannten ihr Kind daran, dass nur Kinder wissen konnten, was in
der Kindheit vorgefallen war. Sie mussten wissen, ob es sich um ihre Kinder
handelte oder nicht. Absurd würde es sein, eine solche Verwechslung zuzulassen.
Nein, sie würden mir und meiner Mutter glauben müssen!
Ich hatte meinen
Anwalt gebeten festzustellen, ob Dimitrios noch lebte. Es war ein Strohhalm der
Hoffnung, aber immerhin eine Chance. Nach einer Woche war klar: Er war bereits
gestorben, und ich musste die Hoffnung aufgeben, dass er zur Klärung meiner
Identität hätte beitragen können. Ich hatte alle Fakten mit meinem Anwalt
durchgesprochen, er wusste alles, was ich wusste. Nur konnte ich ihm nicht klar
machen, warum ich nicht geredet hatte. Vorher. Ich hatte ihm erklärt, das sei
unmöglich gewesen, hätte ich nicht mich und meine Eltern in Gefahr bringen
wollen.
Die Anklageschrift
war schnell formuliert. Der Staatsanwalt hatte aufgrund der besonderen Umstände
erreicht, dass meine Eltern mich nicht besuchen durften. Diese seltene Maßnahme
wurde dadurch begründet, dass meine Mutter und mein Vater als Zeugen von
eklatanter Bedeutung für den Fall waren. Sie waren von mir beeinflussbar, und
daher verweigerte man mir ein Gespräch mit ihnen. Hier ging es um Brudermord,
und damit um einen ganz besonders schwerwiegenden Fall.
Die Eröffnung des
Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht war schreiend bürokratisch. Ich wurde zu
meinen persönlichen Verhältnissen vernommen. Mein neuer Anwalt war jung, er war
nur einmal bei mir gewesen. Er hatte angemerkt, dass es wohl ein Problem sei,
meine Identität klar nachzuweisen. War ich nun Konrad Landes, wie die
Staatsanwaltschaft behaupten würde, oder Walter Landes, wie ich behaupte? Die
Staatsanwaltschaft jedoch konterte und sah es als klar erwiesen an, dass ich
Konrad Landes war. Man hätte die Leiche von Walter Landes gefunden, die
zahnärztliche Analyse habe klar bewiesen, dass es so wäre. Die Kaltblütigkeit,
mich bei meinen Eltern einzuschleichen, sei ungewöhnlich und gravierend. Dies
nachzuweisen, sei die Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Die Aktenlage aber sei
erschlagend.
Danach las der
Staatsanwalt die Anklageschrift vor, alle Anwesenden hörten gespannt zu. Zu
Beginn kam ich mir vor, als wäre ich nur ein Statist. Das, was dort geschildert
wurde, konnte wirklich nicht ernst gemeint sein. Die Anklage lautete auf
vorsätzlichen Mord. Der Staatsanwalt wies auf die besondere Heimtücke hin, auf
den Umstand, dass die gesamte Aktion von langer Hand eingefädelt worden wäre.
Ich wäre sicher auch ein Opfer von staatlich gelenkten Machenschaften, als
erwachsener Mensch allerdings vollständig haftbar und zur Verantwortung zu
ziehen.
Am nächsten Tag
waren die Zeitungen voll mit Berichten über mich, den Toten. Bilder aus meiner
Kindheit tauchten auf, meine ehemaligen Freunde wurden zu Experten, was mein
Leben anging. Ein Bild von mir mit Rudi im Sandkasten, eines von Martha und mir
im Baum sitzend. Sie beschrieben meine Freundlichkeit als Kind. Ich wäre damals
ungewöhnlich fröhlich gewesen, hätte immer alles gewusst. Hätte stets versucht,
der Beste in der Schule zu sein. Ich konnte es nicht fassen, was da über mich
in der Zeitung stand, ich wäre stets beliebt gewesen, so beliebt, wie ich nie
das Gefühl gehabt hatte. Von Konrad Landes wurde nur Schlechtes berichtet, der
Mann, der seinen Zwillingsbruder umgebracht hatte, der Mann der jetzt im
Gefängnis saß: das Monster, der Brudermörder.
Die
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