Gottes blutiger Himmel
Kopf des Netzwerkes mit ihm einen Termin im Stadtteil Corniche al-Mazraa nahe der Gamal-Abdel-Nasser-Moschee vereinbart habe. Dort habe er ihn abholen und in die Al-Auzai-Moschee bringen lassen, wo er mit ihm zusammen das Mittagsgebet verrichtet unddann in einem Restaurant in der Nähe zu Mittag gegessen habe. Nach dem Nachmittagsgebet sei er an eine weitere Person übergeben worden, die ihn in eine Wohnung im Stadtviertel al-Basta gebracht habe, wo Samer zwei Tage geblieben sei. Er habe dort Instruktionen erhalten, wie er sich zu bewegen habe, und sei dann auf inoffiziellem Weg nach Syrien gebracht worden. Der syrische Geheimdienst übernahm anschließend seine Überwachung in Damaskus. Dort habe sich Samer am Mardje-Platz mit jemandem getroffen, sei dann an eine weitere Person vermittelt und in eine Unterkunft im Bezirk Rukn ad-Din gebracht worden, die er erst nach einigen Tagen, wiederum rasiert und in gewöhnlicher Kleidung, verließ. Danach habe er seine Mutter besucht und ihr gesagt, er würde für eine Woche mit Freunden verreisen. Tatsächlich sei er nach Aleppo gegangen, wo man ihm auf die Schnelle beigebracht habe, sich im Untergrund zu bewegen und Ermittler in die Irre zu führen, falls er festgenommen würde. Er habe Aleppo erst verlassen, nachdem er dem Emir der Gruppe Gehorsam gelobt und entschieden habe, ob er als Kämpfer oder als Selbstmordattentäter fungieren wolle.
»Und wofür hat er sich entschieden?«, wollte ich wissen, um über Samers Schicksal Klarheit zu erhalten.
»Das ist nicht bekannt.«
Als die Sicherheitskräfte versucht hätten, ihn und die Gruppe festzunehmen, seien alle verschwunden gewesen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Der Geheimdienst hatte gedacht, er hätte sie in der Hand, aber das Gegenteil war der Fall.
»Warum hat man sie nicht früher festgenommen?«
»Man vertraute darauf, dass man sie, da man sie ja beobachtete, festnehmen könne, wann man wolle. Man wartete auf einen günstigen Moment. Aber wahrscheinlich war er,als er Ihnen versprach, Sie am Flughafen abzuholen, schon auf dem Weg in die Gegend östlich des Euphrat.«
Er stünde jetzt wahrscheinlich kurz vor der Einreise in den Irak.
Eine beängstigende Situation, wie ich sie bisher nur aus Büchern kannte, ergriff mit einem Schlag von meinem Leben Besitz. Sie versprach Schrecken, Irrsinn und Tragödie. Ich wünschte mir, dass das, was ich gehört hatte, erfunden wäre. Um Fassung ringend, bat ich den Offizier, alles zurückzunehmen: »Haben Sie Erbarmen mit mir. Ich bin nur ein Vater.«
Er starrte mich an und verlor sich kurz in Gedanken, dann sagte er langsam: »Hoffen Sie, dass Ihr Sohn die Grenze noch nicht überquert hat. Verlieren Sie keine Zeit. Fahren Sie nach Dawwasa. Wenn Sie Glück haben, können Sie ihn dort aufspüren. Niemand könnte dies besser als Sie.«
Zweifelnd fragte ich: »Wie sollte mir gelingen, was Sie nicht geschafft haben?«
»Es ist besser, Sie übernehmen das. Wenn wir es täten, würde er bis zum letzten Atemzug Widerstand leisten.«
»Soll ich Ihnen etwa meinen Sohn ausliefern?«
»Das ist besser, als wenn wir ihn Ihnen tot übergäben. Sie können ihn lebend zurückbringen. Ich rate Ihnen, nicht abzulehnen. Wir möchten nur ein paar Informationen von ihm.«
Ich lehnte nicht ab, sondern beschloss, Samer zu folgen. Ich wünschte noch immer, die Informationen des Offiziers seien falsch. Dieser aber trieb mich zur Eile: »Reisen Sie so schnell wie möglich ab, besser heute noch als morgen.«
»Was können Sie mir anbieten?«
»Gehen Sie nach Ihrer Ankunft unverzüglich zum Bürgermeister des Dorfes. Er wird Ihnen weitere Anweisungen geben.«
»Der Offizier machte noch eine Anmerkung, bevor eure Unterredung beendet war«, sagte Hassan. »Er sagte, du seist doch der, der immer über islamistische Gruppen schreibe. Er meinte das nicht spöttisch, sondern wollte nur seiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, wie gegensätzlich Vater und Sohn sein können. Erinnerst du dich, dass du kurz nachgedacht hast und ihm dann recht gabst?«
»Ja«, antwortete ich, »ich sagte: Ironie des Schicksals.«
War es Überdruss oder Verzweiflung? Es war beides. Meine Verzweiflung war so stark, dass sie alles zunichtemachte, was ich die Tage zuvor abgeblockt und erfolgreich unter Kontrolle gehalten hatte. Und mein Überdruss führte dazu, dass ich meine Neugier nicht mehr zügeln konnte. Der schwarze Fleck war durchstoßen, und ich lebte nicht mehr im Schutz meiner Unwissenheit. Ich hätte
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