Gottes blutiger Himmel
verübt und friedliche Familien ermordet wurden? Es war eine Barbarei, die kein Ende fand und die dennoch einem irregeleiteten Mann, der erst am Anfang seines Lebens stand, die Welt bedeuten konnte. Eine Welt des Aberglaubens, des Wunschdenkens und der Selbsttäuschung. Wo existiert denn das Paradies außer in der Phantasie der Gläubigen? Als wir noch gegen den Imperialismus kämpften, versprach man uns eine bessere Welt. Das Ergebnis war eine schlimmere alszuvor. Ein Paradies auf Erden war uns nicht beschieden. Es musste also wohl unter der Erde liegen: im Grab, dem Paradies des Nichtseins.
Genug jetzt, ich sollte einhalten. Diese Erinnerungen werden bald alle Teufel auf mich loslassen. Das freie Spiel meiner Gedanken hat mich aus meiner kalten, ereignislosen Gegenwart zurück in eine Zeit gerissen, vor der mir graut, und ich stand bereits an ihrer Schwelle. Ein falscher Schritt, und ich würde vollends in sie hineingleiten, hineinstürzen in das Feuer einer wohlweislich verschlossenen Welt.
Ich sagte zu Hassan: »Ich kann nicht mehr. Ich ertrage es nicht, weiter in Erinnerungen zu wühlen.«
»Nur jetzt nicht kneifen«, erwiderte Hassan. »Sie wollen genau wissen, was dir passiert ist. Der Bericht der Amerikaner über deine Zeit in Bagdad reicht ihnen nicht.«
Mir fehlte die Nahtstelle zur nächsten Szene, aber ich versuchte trotzdem einen weiteren Schritt zurück. Ich fragte Hassan: »Wer war dieser amerikanische Offizier, mit dem ich mich getroffen hatte?«
»Das war Major Richard Miller.«
»Unsere Beziehung war recht eng, nicht wahr?«
»Ob sie eng war, weiß ich nicht, aber sie war nicht schlecht.«
»Erzähl mir ein wenig davon.«
»Der Major besorgte dir einen amerikanischen Pass auf deinen Namen mit Visum für die Einreise in den Irak. Du solltest als Geschäftsmann arabischer Herkunft auftreten und dich als Repräsentant eines ausländischen Unternehmens in Bagdad ausgeben, der versucht, Verträge für Lebensmittellieferungen an die US-Armee an Land zu ziehen. Die Aufgabe des Majors bestand angeblich darin, die von den Amerikanern beauftragten Bauunternehmen zu kontrollierenund sicherzustellen, dass sie die geforderten Standards einhielten. Ganz geglaubt haben wir das natürlich nicht, denn er reiste ständig zwischen Beirut und Damaskus hin und her und erbat Informationen, die mit einer solchen Arbeit nichts zu tun hatten.«
»Du weißt ja ganz schön viel«, sagte ich zu Hassan.
»So viel nun auch wieder nicht. Vor allem über seine andere Tätigkeit wussten wir kaum etwas, denn sie war geheim. Sie hatte mit der Führung einer Einheit aus Söldnern und amerikanischen Berufssoldaten zu tun, die für Spezialeinsätze ausgebildet waren und gegen Entführungen und Geiselnahmen vorgehen sollten. Wir erfuhren davon und von anderen Dingen, weil sie so viel Wirbel verursachten und gleichzeitig so unter Verschluss gehalten wurden. Man sprach schon bald von einer Richard-Miller-Mission.«
»Hatte ich damit zu tun?«
»Ich glaube nicht. Aber seine Abmachung mit dir hatte mit der Geheimmission zu tun.«
Ich mochte Hassan nicht noch einmal sagen, dass ich vergessen wollte. Ich wiederholte nur, dass ich müde sei. Wozu sollten all diese Details gut sein? Sie laugten mich aus und bereiteten mir Qualen, die zwar nicht körperlich waren, aber tiefer gingen als jeder Schmerz.
»Dein letzter Satz war: Vielleicht kehre ich nie zurück«, sagte Hassan.
»Nun sag mir nur nicht, ich hätte mich umbringen wollen!«
»Jedenfalls gingst du in ein Land, in dem der Tod jeden treffen kann.«
»Offenbar wollte ich ein Wagnis eingehen.«
»Ein großes Wagnis. Der Irak durchlief damals gerade seine schlimmste Phase.«
Ein Irak ohne Diktator. Der abgesetzte Saddam Husseinwar festgenommen worden und wartete auf seinen Prozess und das unweigerliche Todesurteil. Die vordem regierende Baath-Partei wurde verfolgt. Es herrschte so etwas wie zügellose Freiheit unter der Ägide der Streitkräfte des amerikanisch-britischen Bündnisses im mittlerweile gefährlichsten Land der Welt. Der Widerstand, der mit Aktionen gegen die Besatzungstruppen begonnen hatte, war unbedeutend geworden. An seine Stelle waren tägliche blutige Kämpfe unter den Irakern selbst getreten: Sunniten gegen Schiiten, Araber gegen Kurden, Kurden gegen Turkmenen, alle gegen alle. In diese Konflikte griffen Amerikaner und Engländer, Iraner, Türken und arabische Nachbarstaaten ebenso ein wie die Geheimdienste westlicher Staaten und der Mossad. Bagdad war
Weitere Kostenlose Bücher