Gottes blutiger Himmel
Gesicht, schwarzen Augen und einem dichten Schnurrbart. Sein Blick ging in alle Richtungen, und er rauchte viel. Er wirkte freundlich, obwohl er versuchte, sich zurückhaltend und nüchtern zu geben. Offenbar dachte er, er solle mich als Dolmetscher begleiten, deshalb sagte ich: »Sprechen Sie ruhig arabisch mit mir, ich bin Syrer.«
Seine Züge entspannten sich, er lachte und sagte nun etwas lockerer: »Ich hoffe, dass niemand mich für einen Dolmetscher oder einen Fahrer hält. Dolmetscher und Fahrer werden bei Entführungen sofort getötet.«
Mir fiel ein, dass ich ihn für seine Bemühungen vielleicht entlohnen sollte. Sein Ministerium bezahlte ihn vermutlich nicht für die Dienste, die er mir leistete, zudem begab er sich sogar in Lebensgefahr, indem er mit einem Ausländer unterwegs war. Ich bot ihm für jeden Tag, an dem er mich begleitete, zwanzig Dollar an und fragte ihn, ob das in Ordnung sei. Er erwiderte empört, er nehme keine Bestechung an und sei auch nicht gewohnt, Trinkgelder jedweder Art zu erhalten. Er hatte im Informationsministerium gearbeitet und war nach der Besatzung ins Kulturministerium versetzt worden.Offenbar gehörte er zu jener Generation kleiner Beamter, die noch unter Saddam geschult worden waren, als jeder Verdacht von Bestechungsannahme für den Betroffenen den Ruin bedeutet hätte. Oder war das die berühmte irakische Empfindlichkeit?
Als er mit der Aufgabe, einen Amerikaner zu begleiten, betraut worden war, hätte er beinahe abgelehnt. Er erklärte sich erst bereit, als man ihm sagte, ich sei ein amerikanischer Forscher mit arabischen Wurzeln. Deshalb hatte er auch angenommen, ich könnte Schwierigkeiten mit meiner Muttersprache haben oder sie gar nicht mehr beherrschen. Außerdem hatte man ihm gesagt, ich wolle Informationen für ein Buch über die Situation des Irak unter Besatzung sammeln. »Stimmt das?«, wollte er wissen. – »Nun ja, sagen wir, ich brauche Informationen«, gab ich vage zurück. Ohne die Straße aus dem Blick zu lassen, fragte er: »Welche Art von Informationen brauchen Sie denn?« Er stockte kurz und offenbarte mir dann sein Misstrauen: »Vergessen Sie nicht, dass Sie im Al-Rashid-Hotel unter dem Schutz der Besatzungstruppen leben.« Damit zog er eine Trennlinie zwischen uns. Er lächelte nicht mehr und sah mich abwartend an. Ich sagte: »Behandeln Sie mich so, als wäre ich ein Tourist.«
Unsere Tour blieb gemäß den Anweisungen, die Fadhil in Bezug auf mich erhalten hatte, auf die engere Umgebung der Grünen Zone beschränkt. Auch ich fand es besser, sich daran zu halten. Der Verkehr bewegte sich stockend, die Straßen waren überfüllt mit Menschen und Autos, und die Staus nahmen im Laufe des Tages noch zu. Überall in Bagdad waren Barrikaden aus Erde und Zement errichtet, Absperrungen umgaben amerikanische Armeestellungen, und Betonbarrieren ragten halb in Straßen hinein, um sprengstoffgefüllte Autos abzuhalten. Den Wachbesatzungen von Hotels, in denen Ausländer wohnten, und das waren viele,war es gestattet, die umliegenden Straßen in Einbahnstraßen umzuwandeln; dasselbe galt überall in der Stadt für Straßen, in denen Angehörige der neuen politischen Klasse wohnten, in denen sich Büros einer der vielen neuen Parteien befanden oder ausländische Firmen ihre Niederlassung hatten. Durch die Fensterscheiben des Autos sah ich graue Luft, durch die kaum das fahle Blau des Himmels hindurchdrang und in der sich Staub, Dämpfe, Rauch und Benzinabgase mit dem Gestank verfaulenden Mülls vermischten.
»Wir haben nicht nur eine Verkehrskrise, sondern auch eine Strom-, Arbeitslosigkeits-, Wasser- und Luftkrise«, erklärte Fadhil. »Vor einem Jahr war alles noch viel schlimmer. Man stand stundenlang in Schlangen vor Tankstellen, um tanken zu können. Witzig, nicht? In einem Land, das die größten Erdölvorkommen der Welt hat! Und Wasser gibt es im sogenannten Zweistromland auch nicht. Natürlich auch keine Polizei, die den Verkehr regelt, keine Feuerwehr, obwohl es dauernd brennt, und keine Müllabfuhr, während Abfälle die Straßen verstopfen.«
Die Menschen liefen eilig umher, auch wenn sie nur mühsam vorankamen. Ich wusste nicht, ob ich in ihren Gesichtern Furcht lesen konnte. Hatten sie Angst vor einer Gewehrkugel, die sie zufällig treffen könnte, vor Splittern, falls irgendwo eine Sprengladung detonierte, vor einer Autobombe? Aber inmitten all der Gefahren herrschte auch Unbedachtheit, das Leben pulsierte, Tausende Menschen drängten sich,
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