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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fawwaz Hahhad
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durch ein Gebiet fuhren, das unter der Kontrolle der Übergangsregierung steht. Vielleicht hatten sie dort sogar Schutz. Was aus den anderen geworden ist, weiß niemand.«
    Mord nach der im Ausweis eingetragenen Glaubensrichtung kam in allen Stadtvierteln vor, je nachdem wo die konfessionellen Konflikte gerade am gewalttätigsten wüteten.
    »Tote werden in Azhamiya genauso gefunden wie in Kazhimiya, in Shula, Sadr City, Zafaraniya, Diyala oder Dura. Aus allen Stadtvierteln Bagdads werden uns Leichen gebracht.«
    Und tagsüber wurde Jagd auf Dolmetscher der Bündnistruppen, auf deren Fahrer oder auf irgendwelche Leute gemacht, die zufällig am falschen Ort waren. »Al-Qaida zielt auf alle, die sich für den Dienst in den Sicherheitskräften rekrutieren lassen, egal welcher Konfession sie angehören. Und die Milizen der Regierungsparteien haben sich der Ausrottung der Baath-Partei verschrieben. Sie entführen ehemaligeParteiangehörige, indem sie sie aus ihren Wohnungen, aus Behörden, Schulen oder Universitäten zerren, und richten sie hin, ohne einen Unterschied zwischen führenden und normalen Mitgliedern zu machen.«
    Mir reichte, was ich gehört und gesehen hatte. Aber als Fadhil sagte, wir würden jetzt noch ins Leichenhaus fahren, lehnte ich nicht ab.
    Als wir ankamen, mussten wir an ganzen Haufen von Leichnamen vorbei, die im Freien vor dem Gebäude lagen. Sie waren mit blauen Tüchern bedeckt und verwesten in der Sonne. Daneben stand ein Lastwagen mit offener Ladefläche, auf der die Opfer eines Anschlags vom Vortag lagen, die man bis jetzt noch nicht identifiziert hatte. Eine Menschenmenge stand um das Auto herum, und ein Mann, der seine Mutter und seine Schwester suchte, stieg auf die Ladefläche. Er wurde bleich und hatte Schwierigkeiten, wieder abzusteigen. Er war nicht fündig geworden. Alle Toten waren nichts als schwarze, zur Unkenntlichkeit entstellte Körper. Die Hitze drückte wie ein Stein auf die versammelten Familien, die sich wie in einem feuchten und klebrigen Ofen mit rot angelaufenen Gesichtern gegenseitig ihr Leid klagten. Sie ermahnten sich gegenseitig, es nicht zu schwer zu nehmen, und fühlten einen Zusammenhalt, der durch Schluchzen, Seufzer und Klagen besiegelt wurde. Sie schnappten nach Luft und kämpften mit den Tränen, sie baten das Schicksal, Gott den Erhabenen, den Propheten Mohammed oder den Imam Ali um Beistand. »Alles kehret allein zu Gott zurück. Gott spricht gewiss die Wahrheit«, murmelte ein Alter, der, auf die Arme gestützt, auf der Erde lagerte und die Menge aus tiefliegenden Augen anstarrte.
    Eine Frau hatte sich in Trauer um ihren Mann und ihre zwei Söhne in Schwarz gehüllt. Sie waren auf dem Rückweg von ihrem Geschäft in der Rashid-Straße gewesen, als sie aneinem amerikanischen Checkpoint erschossen wurden. Ihr Auto fand man von Kugeln durchlöchert am Straßenrand, aber von ihnen fehlte jede Spur. Seit drei Tagen saß sie von frühmorgens bis spätnachmittags vor dem Leichenhaus, um die Leichname in Empfang zu nehmen, die ein Angestellter aufgrund ihrer Beschreibung identifiziert hatte, aber das ständige Eintreffen neuer Toter verzögerte die Übergabe. Eine andere Frau hatte bis jetzt nicht die Leichen ihrer Tochter und ihres Mannes gefunden, obwohl sie schon vor Wochen ermordet worden waren. Ein Mann neben ihr beklagte den Tod seiner beiden Brüder, deren Bus in Dura auf dem Weg zur Universität von Bewaffneten gestoppt worden war. Alle Insassen wurden hingerichtet. Ein junger Mann hatte von seinem Vater nur den Kopf gefunden. Er hatte ihn in sein Hemd gewickelt, drückte ihn an seine Brust und weinte. Er würde ihn ohne Körper begraben. Plötzlich erhob sich ein hysterisches Klagegeheul, als Trauer eine alte Frau übermannte, die zusammen mit zwei Söhnen soeben den Leichnam eines weiteren Sohnes empfing. Sein Schädel war zertrümmert. Sie schrie herzzerreißend und forderte seine Brüder auf, Rache zu nehmen. Die anderen sahen die Frau neidisch an. Sie hatte ihren Sohn gefunden.
    Hunderte von Männern und Frauen aus Bagdad und von anderswo kamen täglich hierher in die zentrale Leichenhalle, um einen toten Angehörigen in Empfang zu nehmen und eine Trauerfeier für ihn auszurichten. Viele fanden den Gesuchten nicht und mussten ohne Leiche gehen, worüber sich die Mörder womöglich noch freuten. Die meisten Versammelten baten um Erlaubnis, selbst unter den Toten zu suchen, die im sogenannten Kühlhaus aufbewahrt wurden, das aber nur halb kühlte und in

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