Gottes blutiger Himmel
erlitten hatten. Flugzeuge hatten sie versehentlich getroffen, als sie auf dem Feld arbeiteten. »Sie werden den heutigen Tag nicht überleben«, flüsterte er und trug seinem Pfleger auf, es den Eltern mitzuteilen. »Es ist besser, sie sterben zu Hause als hier.« Dann kamen einige junge Männer, die sich unsicher waren, ob die Leiche, die sie gerade gesehen hatten, ihr älterer Bruder war. Er war bei einem Anschlag auf eine Bäckerei ums Leben gekommen, aber man hatte nur einen Rumpf und ein Bein gefunden. Der Oberkörper schien seiner zu sein, aber das Bein nicht. Sie fragten den Arzt um Rat. Er meinte, das Bein könnte verdreht worden oder mit Teilen eines anderen Leichnams verklebt sein. Er riet ihnen, die Leiche im Zweifel als die ihres Bruders zu betrachten und zu begraben. Uns erzählte er, dass vor Monaten eine Frau eine Leiche mitgenommen habe, die nicht mehr gewesen sei als ein Klumpen verbranntes Fleisch. Es schien ihr, dass es ihr vierzehnjähriger Sohn gewesen sein könnte. Sie war sich unsicher, aber so, meinte sie, könne sie ihm wenigstens einen Grabstein geben, an dem sie um ihn weinen würde. »Seither raten wir vielen, es so zu machen wie jene Mutter. Manche kommen mit dem Tod so besser zurecht«, meinte der Arzt.
Wir sahen einen etwa zehnjährigen Jungen, der seine Eltern und Geschwister nach seinem verlorenen Arm fragte. Sie standen um sein Bett und versuchten, nicht zu weinen. Keiner hatte den Mut, ihm zu sagen, dass sein Arm in Verband gewickelt neben ihm in einem Beutel lag. Ein Kind krabbelte über den Boden, dessen Mutter vor zehn Tagen bei einem Anschlag auf einen Gemüsemarkt zu Tode gekommen und mit ihm zusammen eingeliefert worden war. Niemand hatte seither nach dem Jungen gefragt, der noch immer seine Mutter suchte, und die Krankenschwestern fütterten undpflegten ihn im Wechsel. An der Wand lehnte weinend eine Frau von vielleicht zwanzig Jahren, und mit ihr weinte ein junger Mann. Sie hatte nach siebenmonatiger Schwangerschaft ein Frühkind geboren, das in einen Inkubator gelegt worden war. Der Strom fiel aus, der Generator lief noch eine halbe Stunde, dann starb das Kind.
»Alles hier ist kaputt, das Herzmassagegerät, der Beatmer, es gibt keine Apparate für die Bluttransfusion, nicht mal Blutdruckmesser«, klagte der Arzt.
Nichts im Krankenhaus war sauber. In den Fluren stank es nach Blut, Erbrochenem und Exkrementen, und die offenen Türen und Fenster kamen nicht dagegen an. Die Leintücher auf den Betten waren voller Staub und Dreck, der Fußboden war mit einer Rußschicht überzogen, die Toiletten quollen über. Die Medizinschränke waren leer. »Wir haben weder Medikamente noch Desinfektionsmittel noch Adrenalinspritzen.« In der Notaufnahme standen blutverschmierte, fast schwarze Tragen, in den OP-Sälen fehlte das einfachste Besteck, und Leichname wurden ungekühlt aufbewahrt. »Wir haben um dreimal so viele zusätzliche Kühlräume gebeten, nachdem wir fünfundzwanzig Leichen in einem Raum unterbringen mussten, der für zehn ausgelegt ist.«
Eine Art Blutrausch war vor vier Monaten eskaliert. Bei Nacht herrschte in Bagdad Ausgehverbot. Sicherheitspatrouillen gab es nur wenige, und sie waren zudem ohne Wirkung, ja, sie waren selbst Angriffsziel für Todesschwadronen und Milizen, die oft Uniformen des Innenministeriums und schwarze Kopftücher trugen, wenn sie ihre Verbrechen begingen. Gleichzeitig waren islamistische Kampfgruppen auf der Suche nach neuen Opfern, und junge Männer wollten sich für den Mord an einem Bruder oder Vater rächen. Andere mordeten zur Abschreckung oder um alte Rechnungenzu begleichen. Die Polizei sammelte täglich Leichen ein, die aus Flüssen und Sümpfen geborgen oder an abgelegenen Orten gefunden wurden, sie fand sie unter Brücken, auf Müllplätzen oder in Abfallhaufen auf der Straße und brachte sie ins Leichenhaus von Bagdad. Die Toten waren frühere Offiziere der irakischen Armee, Universitätsprofessoren, Wissenschaftler, Fachärzte, Religionsgelehrte oder Müllmänner. Manche Leichname waren verstümmelt, sie waren erstochen, erdrosselt oder gehäutet oder sogar mit Bohrmaschinen misshandelt worden.
»Heute wurden uns die Leichen von vier jungen Männern gebracht, die im Tigris schwammen«, so Fadhils Freund. »Sie wiesen Spuren von Schlägen und Bügeleisen auf und hatten Kugeln im Kopf. Sie waren erst gestern Abend im Stadtteil Abu Duschair zusammen mit zehn anderen verschleppt worden. Niemand hielt die Entführer auf, obwohl sie
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