Gottes erste Diener
an
Rom wenden; damals wandte sich niemand um ein »letztes Wort« an Rom, selbst
wenn die Grundfesten des Glaubens schwankten.
Päpstliche Unfehlbarkeit bringt
eine noch größere Schwierigkeit mit sich. Wenn päpstliche Häresien der
Vergangenheit nicht unter die Kategorie ex cathedra fallen, welche
päpstlichen Aussagen fallen dann darunter? Wann haben Päpste zum erstenmal
definierend zur und für die ganze Kirche gesprochen? Bestimmt nicht im ersten
Jahrtausend. Einige würden sagen, nicht vor 1302, andere, nicht vor 1854. Wenn
dies zutrifft, haben römische Oberhirten einfach deshalb nicht geirrt, weil sie
diese Funktion gar nicht ausübten.
Päpstliche Unfehlbarkeit ist
angeblich entscheidend für den Glauben der Kirche und reguliert ihn. Wie kann
das sein, wenn sie im größten Teil der Kirchengeschichte nicht ausgeübt wurde?
Man kann verstehen, daß die Kirche unfehlbar ist, entweder im Konzil oder durch
ihre normale bischöfliche Lehre auf der ganzen Welt. Aber es hält schwer, Sinn
in einer entscheidenden Rolle des Papstes zu sehen, die nie ausgeübt wurde, bis
er tatsächlich von einem Konzil für unfehlbar erklärt wurde, und die im letzten
Jahrhundert nur einmal ausgeübt wurde.
Diese Analyse ist nicht ganz
zutreffend. Ein Papst hat mit Sicherheit vor dem Ersten Vatikanischen Konzil
Unfehlbarkeit ausgeübt. Pius IX. ist so zentral für das Verständnis des
modernen Papsttums, daß er ein eigenes Kapitel erfordert.
13. Kapitel
Der erste unfehlbare Papst
Am 18. Dezember 1854 definierte
Papst Pius die Unbefleckte Empfängnis der Jungfrau Maria
in Ineffabilis Deus:
Wir
erklären, verkünden und definieren, daß die Lehre, derzufolge die Selige
Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch eine einzigartige
Gnade und Bevorzugung Gottes des Allmächtigen angesichts der Verdienste Jesu
Christi, des Heilands der Welt, von jedem Makel der Erbsünde frei geblieben
ist, eine von Gott offenbarte Lehre ist, und daß sie deshalb fest und treu von
allen Gläubigen geglaubt werden muß.
Dieser Akt der Frömmigkeit zur
Mutter Jesu war außerdem die berechnendste politische Entscheidung eines
Papstes in der jüngeren Vergangenheit. Sie verdient den Vergleich mit der
Absetzung und tiefen Demütigung des Kaisers im Schnee und Wind von Canossa
durch Gregor VII.
Die Unbefleckte Empfängnis
Bis zum zwölften Jahrhundert
haben Christen es für selbstverständlich hingenommen,
daß Maria in Erbsünde empfangen wurde. Papst Gregor der Große sagte mit
Emphase: »Christus allein wurde ohne Sünde empfangen .«Immer wieder sagte er,
daß alle Menschen sündig sind, selbst die heiligsten, mit der einzigen Ausnahme
Christus. Seine Argumente und die aller Kirchenväter lassen keinen Zweifel an
der Angelegenheit. Geschlechtlichkeit hatte immer etwas mit Sünde zu tun. Maria
wurde normal empfangen, deshalb in Sünde; Jesus wurde jungfräulich empfangen,
deshalb ohne Erbsünde.
Ambrosius und Augustinus wären
zwar der Ansicht, Maria habe keine tatsächliche Sünde begangen, doch viele
Kirchenväter dachten anders. Tertullian, Irenäus, Chrysostomos, Origenes,
Basilius, Kyrill von Alexandria und andere beschuldigten Maria vieler Sünden,
ausgehend von Bibeltexten. Sie wurde in Sünde empfangen, sie beging
tatsächliche Sünden; das sagte das Neue Testament.
So gefestigt war die Tradition,
daß Maria in Sünde empfangen war, daß für einen großen mittelalterlichen
Heiligen und Gelehrten wie Anselm das einzige Problem war, wie der sündlose
Christus von einer Sünderin geboren sein konnte. Anselm pries Maria auf
vielfältige Weise: Ihre Fülle des Geistes machte »alle Geschöpfe wieder
grünen«.Doch er folgte Papst Gregor und der großen Tradition standhaft: »Die
Jungfrau selbst war in Ungerechtigkeit empfangen, und in Sünde hat ihre Mutter
sie empfangen, und mit Erbsünde wurde sie geboren, denn auch sie sündigte in
Adam, in dem alle gesündigt haben.«
Die griechisch- und die
russisch-orthodoxe Kirche haben diese Tradition beibehalten. Der Gedanke, Maria
sei sündenlos geboren worden, beraubt sie ihrer Größe und Verdienste, die in jeder
Hinsicht die eines Menschen wie wir sind.
Im Westen hingegen entwickelte
sich der Marienkult im Mittelalter rasch. Die Katholiken neigten dazu, die
Menschheit Christi aus den Augen zu verlieren. Deswegen erschien er fern, nicht
so sehr der Vermittler zwischen Gott und Mensch als vielmehr Gott selbst. Dies
führte zum
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