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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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Fast alle Päpste von Gregor VII. an
behaupteten, ihre Macht zum Absetzen komme von Gott. Der Papst herrscht auf
Erden, ob in Kirche oder Politik, an der Stelle Gottes; und Gottes Macht kennt keine
Grenzen. Andererseits führte kein Papst seine Macht je auf eine Gabe von der
Gemeinschaft der Christen zurück. Wenn sie eine Gabe wäre, wo ist dann eine
einzige Aussage darüber von Papst, Kaiser oder König, irgendein Gesetz oder
Kodex, der ihm dies Recht einräumt?
    Ein Historiker des achtzehnten
Jahrhunderts zählte fünfundneunzig Päpste, die behaupteten, göttüche Macht zum
Absetzen von Königen zu besitzen. Alle ihre Argumente waren mit der Schrift
begründet. »Was du auf Erden binden wirst«, sagt Christus. Dies war
uneingeschränkt, sagten die Päpste. Christus gab den Päpsten die Schlüssel von
Himmel und Erde; er weidet alle Schafe, auch den Leithammel, den Kaiser.
    Als Gregor VII. Heinrich IV.
absetzte, als Pius V. Elizabeth I. absetzte, beriefen sie sich auf ihre Macht
von Gott, dies zu tun. Als Bellarmine versuchte, die päpstliche Macht zum
Absetzen ein wenig einzuschränken, schickte Sixtus V. sich an, ihn auf den
Index zu setzen.
    Es ist nicht die Böswilligkeit
der Nichtkatholiken, die eine Verbindung zwischen päpstlicher Autorität zum
Absetzen und päpstlicher Unfehlbarkeit herstellt. Es sind unzählige Päpste
selbst, deren Lehre Pius IX. entstellen oder ignorieren muß, weil sie nicht zu
seiner These passen. Angesichts einer so erdrückenden Beweislast würde jede
andere Institution sagen: Unsere Vorgänger haben einen Fehler gemacht. Sie
haben die Evangelien falsch verstanden. Es war ebenso falsch, daß Päpste Kaiser
absetzten, wie daß Kaiser Päpste absetzten. Wir sollten sie nicht zu streng
verurteilen; sie gehörten in ihre Zeit wie wir in die unsere. Was wir tun
müssen, ist dafür zu sorgen, daß diese Dinge nie wieder geschehen. Leider kann
eine unfehlbare Kirche es sich nicht leisten, auch nur einen einzigen
derartigen Fehler einzugestehen. Sie kann sich nicht irren oder selbst
widersprechen. Sie ist versucht, wie Pius IX., zu sagen, ihre Kritiker seien
entweder blind oder böswillig.
    So tendiert die Unfehlbarkeit
dazu, aus der Geschichte eine Hilfswissenschaft der Theologie zu machen.
Päpstliche Fehler in der Vergangenheit sind Illusionen. In einer katholischen
Form des »Orwellianismus« muß die Geschichte offiziell »vergessen« werden —
oder aber umgeschrieben, um die gesamte Laufbahn des Papsttums, was die Lehre
betrifft, makellos erscheinen zu lassen.
    Pius IX. starb 1878.
Fünfundzwanzig Jahre später bestieg ein weiterer Pius den Thron Petri. Auch er
war überzeugt, daß kein Papst, er selbst eingeschlossen, je einen Fehler machen
konnte.

14. Kapitel

Die große Säuberung
     
     
     
     
     
     
     
    Es war früher August 1903 in
der Sixtinischen Kapelle. Im Schattenvon Michelangelos
Fresko des Jüngsten Gerichts schien die Abstimmung nach Plan zu verlaufen — da
brach eine Krise aus. Kardinal Puszyna, der polnische Bischof von Krakau, das
damals zu Österreich gehörte, stand auf, um zu seinen einundsechzig Kollegen im
Konklave zu sprechen. Vor dem dritten Wahlgang für den Nachfolger Leos XIII.
hatte er etwas auszurichten. Er hustete verlegen. Es kam von Franz Joseph.
Kraft seines lange bestehenden Privilegs als Oberhaupt des Kaiserreichs Österreich-Ungarn
machte Seine Majestät Gebrauch von seinem Vetorecht gegen einen von ihnen:
Kardinal Rampolla, den Staatssekretär Leos XIII.
    Die trotz der hohen Decken
heiße Temperatur in der Sixtina wurde noch heißer. Ihre Eminenzen kochten. Dies
war eine offensichtliche Einmischung in die Freiheitsrechte der Kirche im
heikelsten Augenblick: einer Papstwahl. Sie war doppelt beleidigend, weil das
Papsttum seit dreiundvierzig Jahren seiner weltlichen Macht beraubt war. Nun
ließ ihnen ein irdischer Herrscher durch diese scharlachrote Marionette sagen,
wer die päpstliche Krone tragen durfte und wer nicht.
     
     
    Der ewige Vater
     
    Gioacchino Pecci, Leo XIII.,
war am 19. Juli 1903 gestorben. Rom war soheiß, daß man
fürchtete, die Leiche würde vor aller Augen zerfallen. Leo und sein Vorgänger
Pius IX., dessen Kopf er als Camerlengo nach seinem Tod mit einem Silberhammer
angeklopft hatte, waren beide länger als alle anderen Päpste im Amt gewesen.
Zusammen herrschten sie stolze siebenundfünfzig Jahre. Leo war schon bei seiner
Wahl alt gewesen, und als er starb, hatte er sechzig Enzykliken und
vierundneunzig Lebensjahre

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