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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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hinter sich. In seinen späteren Jahren hörte man
seine Berater oft murmeln: »Wir haben in Pecci eine heiligen Vater gesucht,
keinen ewigen Vater.«
    Er war zierlich von Statur,
hatte eine riesige Adlernase, von der zerlaufener Schnupftabak auf seine
Soutane tropfte, dünne Lippen und weiße, durchscheinende Haut. Er hatte die
Kirche beherrscht. Die Gläubigen würden diese riesigen Augen wie schwarze
Brillanten vermissen, und diese schmalen, schwanengleichen Hände, die seine
Untertanen mit der Güte eines alten Mannes segneten.
    Zwar war er wie Pius IX. ein
»Gefangener« im Vatikan gewesen. Er konnte seine eigene Basilika, San Giovanni
in Laterano, nie besichtigen, nie den Hundstagen durch erfrischende Besuche in
seiner Villa in Castelgandolfo am Albanersee entkommen. Doch er konnte noch in
seinen Gärten reiten und die süßen Düfte von Pinien, Eukalyptus und frischen
Orangenblüten riechen.
    Leo stand in dem Ruf, ein Liberaler
zu sein. Das war er wohl kaum, obwohl er das vatikanische Archiv mit den Worten
öffnete: »Die Kirche hat keine Angst vor der Geschichte.« Er forderte immer
noch die Art Gehorsam, die ihm, wie er meinte, als absolutem Monarchen der
Wahrheit Gottes zukam. Sein Freund und Biograph Julien de Narfon gibt ein
typisches vatikanisches Gespräch der Zeit wieder. »›Was würden Sie tun‹, wurde
einer der Kirchenfürsten gefragt, ›wenn der Heilige Stuhl versuchte, Sie zu der
Aussage zu zwingen, daß zwei und zwei sechs sind?‹ ›Ich würde es sofort sagen‹,
war die Antwort; ›und bevor ich unterschriebe, würde ich fragen: Soll ich nicht
vielleicht sieben daraus machen?‹«
    1896 befand Leo, daß
anglikanische Ordinationen ungültig waren. Dies bedeutete, daß diese weltweite Gemeinschaft
keine christlichen Kleriker und keine Sakramente außer der Taufe hatte. Das
Oberhaupt der anglikanischen Religionsgemeinschaft war ein bloßer Laie,
hoffentlich getauft, in einer »Kirche«, die keine apostolische Grundlage hatte.
Deshalb bezeichnete ihn der Osservatore Romano, die vatikanische
Zeitung, bis 1950 als »der ›Erzbischof von Canterbury‹«. Das Wort »Erzbischof«
wurde im Original immer klein geschrieben und der ganze Titel in Anführungszeichen
gesetzt. Es war eine fein abgestimmte literarische Beleidigung. Trotzdem hatte
Leo im Unterschied zu Pius begonnen, die politischen Realitäten in Europa
anzuerkennen. Er hatte darauf bestanden, daß die französischen Bischöfe die
Republik akzeptierten und auf hörten, den Tagen der absoluten Monarchie
nachzujammern. So hatte ein Hauch frischer Luft einige Soutanen der päpstlichen
Umgebung leicht bewegt.
     
     
    Ein Bauernpapst
     
    Leos Staatssekretär Rampolla
war der Favorit für seine Nachfolge. In jenem
schicksalhaften Sommer 1903 ging er mit hohen Erwartungen ins Konklave. Beim
ersten Wahlgang bekam er vierundzwanzig von zweiundsechzig Stimmen. Sein
stärkster Rivale war der kahl werdende Karmeliter Kardinal Gotti mit seinen
seltsamen, verstörten Augen. Gotti hatte siebzehn Stimmen und Sarto, der
Patriarch von Venedig, fünf.
    Sarto mit seinem breiten,
freundlichen Gesicht und seinem weißen, dicken Haar deutete das, vielleicht zu
Recht, als ein kleines Späßchen von seinen Kollegen. Er war nicht wirklich von
dem Stoff, aus dem die Päpste sind; er hatte nicht den Kopf und nicht die
Erfahrung für den Posten, nicht nachdem Leo solche Maßstäbe gesetzt hatte.
Außerdem war er mit seinen fast siebzig Jahren ein zu alter Hund, um neue
Tricks zu lernen. Beim zweiten Wahlgang erreichte Rampolla neunundzwanzig
Stimmen, Gotti sechzehn und Sarto zehn. Ein letzter Ruck zu Rampollas Gunsten,
und die Wahl würde vorbei sein.
    Dann kam die Intervention des
Kardinals von Krakau. Als der erste Ausbruch des Ärgers sich gelegt hatte,
stand Rampolla unter seinem Baldachin auf. Sein langes, gutaussehendes Gesicht
verriet, mit welcher Anstrengung er seinen Zorn beherrschte. Seine dunklen,
intelligenten Augen loderten, die Flügel seiner klassisch geraden Nase bebten.
Das Weiß seines Gesichtes schien neben dem Schwarz seines glatten Haars und dem
Purpur seiner Gewänder zu glühen.
    »Ich bedaure außerordentlich«,
gelang es ihm mit der Glätte des geschulten Diplomaten zu sagen, »diesen
schweren Schlag von einer weltlichen Macht gegen die Würde des Heiligen
Kollegiums und die Freiheit der Kirche, ihr Oberhaupt zu wählen. Deshalb
protestiere ich mit äußerster Schärfe.« Seine Stimme wurde erheblich milder,
als er hinzufügte: »Was mich

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