Gottes erste Diener
Großzügigkeit gegen Arme. Er arbeitete
hart, aus keinem anderen Grund als seiner Gottes- und Menschenliebe.
1884 wurde Sarto zum Bischof
von Mantua ernannt. Er war erstaunt und fand, ein Bistum sei zuviel für seine
Fähigkeiten. Er tat sein Bestes, um abzulehnen, aber Papst Leo bestand darauf.
Im Juni 1893, als er
neunundfünfzig war, wurde er Patriarch von Venedig. Sechzehn Monate lang konnte
er seinen Sitz nicht übernehmen, weil eine antiklerikale Regierung ihm das
Exsequatur verweigerte. Das war wieder ein Zeichen der Zeit. Die Kirche war
überall Gefahren ausgesetzt. Ein Trost, den er hatte, war ein dreitägiger
Besuch daheim in Riese, wo er seiner bettlägerigen, über achtzigjährigen Mutter
eine Freude machen konnte, indem er seine Kardinalsgewänder anlegte.
Das Exsequatur kam schließlich
am 5. September 1894, und er feierte es mit seinem ersten Hirtenbrief. Dieser
gütige, warmherzige Mann zeigte, daß er ebenso kämpferisch sein konnte wie
seine Feinde.
»Gott«, schrieb er, »ist durch
die Trennung von Kirche und Staat aus dem öffentlichen Leben vertrieben
worden.« Seine Haltung zum Papsttum war von der striktesten Art. »Wenn wir vom
Stellvertreter Christi sprechen, müssen wir nicht kritteln, wir müssen
gehorchen; wir müssen nicht messen, was er gesagt hat, um die Reichweite unseres
Gehorsams zu beschränken.... Die Gesellschaft ist krank.... Die einzige
Hoffnung, das einzige Heilmittel ist der Papst.« Selbst für diesen heiligen und
tiefunglücklichen Mann war die einzige Hoffnung nicht Christus, sondern der
Papst.
Kaum war er Patriarch, da
prangerte er die »heimtückischen Anschläge« des Liberalismus, besonders der
katholischen Liberalen an, die er »Wölfe im Schafspelz« nannte.
Am 24. November fuhr er mit der
Kardinalsgondel zur Goldenen Stadt. Jede Brücke und Brüstung war voller Menschen;
sie lehnten aus jedem Fenster und balancierten gefährlich auf schmalen
Mauerabsätzen über dem Kanal, um seinen Segen zu bekommen. Die Gondel glitt zu
den Kais hinauf, bis Kardinal Sarto am Markusplatz ausstieg. Jedes Gebäude war
geschmückt, außer dem Rathaus. Das war ein Affront von den Antiklerikalen, den
er nie vergaß oder vergab.
So begann er das Leben eines —
wie er es nannte — »armen Landkardinals«. Seine beiden Schwestern kümmerten
sich um seine Bedürfnisse; es waren nicht viele. Von fünf Uhr früh bis
Mitternacht arbeitete er unermüdlich. Er hatte nichts dagegen, daß man ihn Don
Beppe (»Hochwürden Sepp») nannte. Das Einkommen der Kirche, sagte er als einer,
der nie Geld gehabt hatte, ist das Erbteil der Armen. Er bestand auf einer
Liturgie, die Gottes würdig war, statt der üblichen nachlässigen italienischen
Angelegenheit. Sie sollte mit gregorianischem Gesang verschönt werden, der
Musik der Engel; die Eucharistie sollte oft empfangen werden.
Auf diese Weise verlebte er
neun relativ ruhige Jahre, bis er nach Rom fuhr, um den Nachfolger Leos XIII.
zu wählen. Er kaufte eine Eisenbahnrückfahrkarte und versprach den Menschen
seiner Diözese, zu ihnen zurückzukommen—tot oder lebendig. Das war das einzige
Versprechen, das er je machte und nicht einhielt.
Fremder im Vatikan
In Rom war er ein völlig
Fremder. Sein ganzes Leben lang war er an schlichte
Leute und einfache Probleme gewöhnt gewesen, die mit harter Arbeit und
persönlicher Güte zu lösen waren. Seine Regierung sollte keine glückliche sein.
Seine großen, leuchtenden Augen waren von ständiger Traurigkeit erfüllt.
Berater wie Merry del Val und Kardinal de Lai legten ihm nicht nur Fakten vor,
sondern Deutungen von Fakten, die ihn überzeugten — wenn das noch nötig war —,
daß die Menschheit krank war. Sein größter Schmerz war die Abtrünnigkeit von
Gott. Er sprach privat und öffentlich von moralischem Verfall, vom Niedergang
der Welt. Die meisten Päpste seit der Französischen Revolution waren unheilbare
Pessimisten. Was Pius IX. als Katastrophe gesehen hatte, war das Aufkommen der
Demokratie. Was Pius X. als sterbende Welt sah, war eine neue Welt im
Entstehen. Wissenschaftliche und technische Fortschritte wie nie zuvor wurden
gemacht. Die Archäologie offenbarte, wie alt die Welt tatsächlich ist. Die
Christen folgten John Lightfoot, einem Cambridger Gelehrten des siebzehnten
Jahrhunderts, und nahmen an, die Erschaffung der Welt habe an einem
Herbstmorgen — auf der nördlichen Halbkugel, wohlverstanden — im Jahr 4004 v.
Chr. stattgefunden. Um genau zu sein, Gott hatte am
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