Gottes erste Diener
Bemerkenswertesten seiner Karriere.
Einige
erwarten, daß der Papst ein Staatsmann, ein Diplomat, ein Gelehrter und ein
Verwalter ist — ein Mann, der alle Formen des Fortschritts im menschlichen
Leben ohne Ausnahme versteht. Doch solche Leute machen einen großen Fehler,
denn sie mißverstehen die wahre Funktion des Papsttums. Für Uns ist die
Funktion des Papsttums die, der ganzen Herde ein Hirte zu sein.
Dies erklärt, warum Johannes
gar nichts von der üblichen herrischen Kälte eines Papstes hatte. Es erklärt,
warum er die Kirche nicht immer wieder an seine Autorität erinnern mußte; er
hatte die größte und einzig bedeutsame Autorität: die der Liebe und des
Dienstes. Sein Segen umarmte die ganze Welt und nicht nur Katholiken. Er war
einfach der Vater der Menschheit. Um ein guter Papst zu sein, dachte er, mußte
er nicht Menschen verfolgen, Theologen terrorisieren, düstere Warnungen für die
Zukunft verlautbaren, immer engere Gesetze machen; er mußte nur ein guter
Christ sein. Dazu gehörte, daß er zu jedem Vertrauen hatte. Er mußte nicht
alles selbst tun. Er brach völlig mit der Idee des Papsttums, die Pius X. mit
Pius IX., Innozenz III. und Gregor VII. geteilt hatte. Deshalb hatte er, obwohl
er so »uralt« war, den Nerv, ein Konzil einzuberufen. Nach viel Nachdenken und
Gebet verkündete er seinen Entschluß am 25. Januar 1959 achtzehn Kardinalen in
einer Feier in San Paolo fuori le Mura. Sie waren wie vor den Kopf gestoßen. Er
war ein Lückenbüßerpapst — warum benahm er sich so? Johannes bat sie um Rat.
Sie hatten keinen. Später schrieb er: »Menschlich gesprochen hätten Wir
erwarten können, daß die Kardinäle, nachdem sie Unsere Ansprache gehört hatten,
sich um Uns geschart hätten, um Zustimmung und gute Wünsche auszudrücken....
Statt dessen gab es ein frommes, beeindruckendes Schweigen.« Warum sollten sie
Begeisterung an den Tag legen? Das einzige Konzil in über vierhundert Jahren hatte
den Papst für unfehlbar erklärt. Wofür brauchte Papst Johannes ein Konzil?
Die Inspiration, ein Konzil
einzuberufen, zeigte Johannes als etwas ganz Besonderes. Er war der erste
Oberhirte, der ein Konzil einberief, ohne daß irgendein Druck dahinterstand.
Die Kirche war nicht in einem Zustand der Revolte; es standen keine
dogmatischen Fragen an. Er tat es, weil er glaubte, ein Konzil würde der Kirche
und der Welt guttun. Er wollte, daß die Kirche »zeitnah« wurde — dies bedeutet
das Schlüsselwort aggiornamento — und ihre Arme weit für die getrennten
Brüder öffnete. Er riß symbolisch die Fenster des letzten Ghettos auf, des
Vatikans, um die abgestandene Luft heraus- und frische Luft hereinzulassen.
Kein Wunder, daß die Kurie ihr Bestes tat, ihm das auszureden.
Es würde zwanzig Jahre
Vorbereitung brauchen, sagten sie ihm. Solche Dinge durfte man nicht
überstürzen. Und dann erforderte die Organisation, 2500 schwerbeschäftigte
Bischöfe von allen Enden der Welt zusammenzuholen und sie angemessen
unterzubringen! Warum dieser Aufwand? Und warum nicht eine Synode in Rom,
Heiligkeit, um den Boden zu bereiten, sozusagen?
Johannes fand die Idee einer
Synode ausgezeichnet, aber er entschied sich auch für ein Konzil. Die Synode
mit ihren begrenzten Zielen war ein Erfolg. Seine Berater sagten ihm, rechtlich
sei sie nicht zufriedenstellend. Johannes wußte, sie meinten, sie wären nur mit
Gesetzen und Strafen zufrieden gewesen. Davon wollte er nichts wissen. Die Zeit
der Verdammungen war lange vorbei. Die Kirche selbst hatte das Erbarmen Christi
nötig. Dies Erbarmen gab er an Priester weiter, die ihr Amt aufgegeben hatten.
Selbst das Gesetz Italiens war ungerecht gegen sie, denn es schloß sie aufgrund
des Konkordats von 1929 von vielen Stellungen aus. Er bat die Priester, ihre früheren
Kollegen mit der Liebe Christi zu begrüßen und, wo nötig, mit ein paar tausend
Lire.
Das Konzil beginnt
Papst Johannes war
einundachtzig Jahre alt, als er an einem herrlichen
Oktobermorgen 1962 in seiner sedia gestatoria zum Petersdom getragen wurde.
Sein Gesicht war tränennaß.
Nie hatte das Papsttum so hohes
öffentliches Ansehen genossen. Wären alle Päpste wie er, sagte man, würden alle
Schlange stehen, um Katholiken zu werden. Er verkörperte den Satz des Horaz:
»Nichts hindert einen, die Wahrheit mit einem Lächeln im Gesicht zu sagen.« Das
Konzil zeigte, daß selbst ein Papst bereit war, zuzuhören und zu lernen.
In seiner Eröffnungsansprache
machte er deutlich,
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