Gottes erste Diener
sein neues Amt in Venedig auf. Die
Großartigkeit des Empfangs überwältigte ihn. Es war eine Palmwoche, sagte er.
An einen früheren Kollegen in Paris schrieb er: »Oh! Welcher Enthusiasmus!
Welch triumphaler Einzug in der unvergleichlichen Umgebung der Lagune, überall
Schmuck wie für ein Fest.« Er nahm den Markusdom aus dem neunten Jahrhundert in
Besitz, zu dem die türkischen Standarten 1571 nach der Schlacht von Lepanto
gebracht worden waren. Zu dieser großen Diözese sagte er: »Ich bin das Kind
armer Eltern. Die Vorsehung hat bestimmt, daß ich meine Heimat verließ und in
die Welt hinausging.... Seht euren Erzbischof nicht als Politiker, sondern als
Seelsorger.« Dies war sein ständiges, unverändertes Thema. Er hatte keine
andere Rolle als der gute Hirte. »Ich umarme mit besonderem väterlichen
Schutz«, sagte er in seiner ersten Botschaft an seine Diözese, »die Kinder, die
Armen, die Leidenden und die Arbeiter.«
Als Patriarch hatte Roncalli
eine Handvoll Jahre Frieden und Zufriedenheit. Sein Optimismus war ansteckend.
Es schien der Gipfel einer erstaunlichen Karriere zu sein. Der Bauernjunge
konnte mit Homer sagen: »Viele Städte sah ich und viele Menschen.« Er hatte
zehn Jahre in Sofia, Bulgarien, hinter sich, und zehn weitere in Istanbul. Paris
war sein letzter Auslandsposten gewesen. Er war bereit, eine Welt zu verlassen,
der zu dienen er sein Bestes getan hatte. Jedes Jahr kam er in seine alte
Heimat Sotto il Monte zurück, um seine Kräfte aufzufrischen, um er selbst unter
seinen Geschwistern zu sein. Sie waren eine langlebige Familie. Sein Vater
starb mit sechsundneunzig und seine Mutter mit vierundneunzig Jahren. Die Fotos
aus dieser Zeit zeigen den Patriarchen mit seinen Brüdern Giovanni, Zaverio,
Alfredo und Giuseppe, in dunklen Anzügen und mit gewienerten Schuhen; alle
außer Angelo sehen ein wenig unbehaglich aus. Auf Angelos Gesicht, dem einzigen
dicken, ist nichts als Stolz auf seine Brüder.
Wie Giuseppe Sarto vor ihm
erwartete Roncalli natürlich, seine Tage in Venedig zu beschließen. Auch er
irrte sich.
Einundfünfzig Kardinale wählten
den Nachfolger Pius’ XII. Der erste Wahlgang war am 26. Oktober 1958. Erst beim
elften Wahlgang wurde Roncalli als Übergangspapst gewählt, und Kardinal Canali
präsentierte ihn der dreihunderttausendköpfigen Menschenmenge auf dem
Petersplatz.
Es brauchte nicht lange, um zu
bemerken, daß Johannes XXIII. anders war als jeder Papst, den sie je gesehen
oder von dem sie je gelesen hatten. Er war zuerst und vor allem ein Mensch. Er
war ein schlichter Christ. Er war ein katholischer Katholik. Er war der Papst
der Welt. Eigentlich sollte man von ihm sagen, er war der erste
nichtitalienische Papst seit Jahrhunderten. Er hatte nicht ständig die
italienische Situation im Blick und kompromittierte die Kirche und das Papsttum,
weil er ihr Vorrang gab. Seine Berater sollten sich bitter beklagen, daß er den
Kommunisten zu vielen Stimmen bei nationalen Wahlen verholfen hätte. Er hatte
sogar Chruschtschows Schwiegersohn, dem Redakteur der Iswestja , in einem
äußerst heiklen Augenblick der italienischen Politik ein Interview gegeben. So
wurde er der erste Papst, der je von der rechten Presse seines Herkunftslandes
angegriffen wurde. Die Wahrheit war, daß er nicht zuerst darum besorgt war,
Italien vor dem Kommunismus zu retten; seine Priorität war, die frohe Botschaft
von Christus in der ganzen Menschheit und vor allem in der ganzen Kirche zu
verbreiten.
Seine Vorgänger hatten die Welt
gescholten, angeprangert, gewarnt, verdammt — Johannes XXIII. liebte sie,
ermutigte sie, lächelte sie an wie ein Cherub.
Man hat von Giotto, dem Maler
des dreizehnten Jahrhunderts, gesagt, er habe »mit Farbe Skulpturen
geschaffen«. Er hatte der Malerei ganz neue Perspektiven gegeben, so daß es
schien, als wäre eine neue Welt »ausgebrochen«, die die Renaissance werden
sollte. Johannes war der große Künstler des Geistes. Er gab dem Katholizismus
neue Dimensionen mit dem alten Material, und gerade deshalb konnten manche
Menschen, selbst gewiefte wie Kardinal Heenan von Westminster, seine
Originalität nicht wahrnehmen. Heenan sagte mehrfach: »Ich habe den Mann nie
kennengelernt. Er ist einfach ein altmodischer Katholik vom Typ Garten der
Seele.« Seine Eminenz war nicht allein in seiner Blindheit für die wahre Größe
dieses außergewöhnlichen Mannes, der das Antlitz der römischen Kirche
menschlich machte. Mit Johannes, so schien es, begann die
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