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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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allein, er bleckt die Zähne und grinst ihm zu, siegesgewiss. Dann schüttelt er den Baum mit seinen starken Armen, bis der Stummelaffe in Panik gerät und versucht, an ihm vorbeizuhuschen. Aber unser Anführer, der Stärkste von uns allen, der Klügste, der Gewandteste, der Listigste weiß, wohin der Stummelaffe zu entfliehen sucht, er sieht es den aufgerissenen Augen an, er schneidet ihm den Weg ab und packt ihn mit einem einzigen gewaltigen Hieb. Triumphierend hält er ihn in die Höhe, und wir, wir kreischen und lachen in wilder Ekstase. Oh ja, und wir ermuntern ihn fortzufahren. Als ob er unserer Ermunterung bedürfte! Kraftvoll, mit einem Ruck, reißt er dem Stummelaffen den Bauch auf und frisst ihm, der noch bei vollem Bewusstsein ist und in panischem Entsetzen brüllt und schreit, die Eingeweide aus dem Leib. Was für ein Blutrausch, was für ein Fest! Und wir, die wir dem Anführer ehrfürchtig und voller Bewunderung zusehen und darauf warten, dass er uns zuwirft, was er nicht mehr zu fressen begehrt, wir kreischen und lachen vor unbändiger Lust. Ahhh – so träume ich nachts, wenn ich allein bin, in der Dunkelheit, wenn aus der Tiefe der Vergangenheit die Geister kommen . . .“
    Es war verwirrend, dies alles zu hören, aus dem Munde eines Affen. Oder nein, nicht aus dem Mund, aus dem Lautsprecher. Dieser Kontrast von Urwaldtraum und Computerstimme war es, der Troller am meisten verwirrte.
    „Was hat man mit Ihnen gemacht?“, fragte Jane. „Wissen Sie es?“
„Aber ja“, sagte Mr. Pan, „ich habe zwei Gehirne. Ich bin ein Wir. Aber da unser Gehirn – auch das Ihre – ohnehin ein Wir ist, wenn Sie wissen, was ich damit meine, erlaube ich mir dennoch, Ich zu sagen.“
„Hat es Ihnen Mühe gemacht, sprechen zu lernen?“
„Kaum. Aber ich wünschte, ich könnte so sprechen so wie Sie. Mit einer natürlichen Stimme. Ich kann mich an diesen scheppernden Klang nicht gewöhnen.“
„Können Sie lesen?“
„Sehen Sie nicht die Bücher auf meinem Schreibtisch? Sie sind oft mein einziger Trost.“
„Heißt das, Sie fühlen sich allein?“
„Ohhhh . . .“, sagte Mr. Pan, und es klang unendlich traurig. „Aber“, sagte er dann, und man sah ihm an, wie der eine Teil dem anderen befahl, sich zusammenzunehmen, „jede Einzigartigkeit hat ihren Preis.“
„Gibt es etwas, was Sie sich wünschen?“
„Oh ja“, sagte er. „Meine Heimat zu sehen, das Land meiner Väter, meiner Mütter, meines Stammes. Ich weiß nicht, ob sie mich dort noch als einen der ihren erkennen würden. Ich weiß nicht, ob sie mich mit auf die Jagd nehmen würden. Ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, ihnen zu folgen, wenn sie sich von Ast zu Ast schwingen mit ihren starken Armen. Ich...“ – er zeigte auf die Schaukel und das Gerüst –“...trainiere gelegentlich, aber man wird bequem. Das ist der Fluch der Zivilisation. Ich habe meine Zähne lange nicht mehr in die Eingeweide des Stummelaffen geschlagen – seit Generationen nicht mehr. Und doch, wie gern würde ich noch einmal auf die Jagd gehen, mit meinen Vätern, meinen Müttern. Schauen Sie...“ – er stand auf einmal auf und ging mit krummen Beinen auf das Klettergerüst zu –“...ich habe natürlich nicht ganz meine Beweglichkeit eingebüßt“ – er kletterte hinauf, löste die Schaukel aus ihrer Befestigung und pendelte nun stehend im Zimmer auf und ab –“aber wenn Sie bedenken, dass ich früher mühelos einen Salto beherrschte . . .“
„Vergessen Sie den Salto, Mr. Pan“, sagte Ziegler beunruhigt. „Sie können lesen, Sie können schreiben, Sie können sprechen – wozu da noch den Salto machen?“
Mr. Pan schaukelte. Er machte sich einen Spaß daraus, von der Schaukel aufs Gerüst und wieder vom Gerüst auf die Schaukel zu springen. Es sah seltsam aus, diesen gut gekleideten Affen so ausgelassen herumtollen zu sehen. Obendrein mit dem Stützkorsett um den Hals, das drohend darauf hinwies, wie zerbrechlich Mr. Pan war.
„Mr. Pan“, rief Ziegler beinahe flehentlich. „Es ist genug, hören Sie auf!“
„Kommen Sie, Mr. Pan“, rief nun auch Jane, „wir möchten Ihnen gern noch ein paar Fragen stellen.“
Mr. Pan stand jetzt oben auf der obersten Sprosse des Gerüsts und wartete, dass die Schaukel zu ihm zurück schwang. Aber Ziegler sprang vorher auf die Schaukel zu und hielt sie an. „Genug, Mr. Pan“, befahl Ziegler. „Es reicht.“
„Gleich, Helmut“, sagte Mr. Pan mit seiner Computerstimme, „gleich höre ich auf. Nur noch der

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