Gottes Gehirn
zwei, drei, vier oder sogar sechs Menschengehirne zusammengebaut werden, dann entsteht ein noch viel höheres Bewusstsein . . .“
„Und dieses Bewusstsein ist damit verbunden, dass sich ganz andere Dinge materialisieren, als wir es gewohnt sind.“
„Behrman“, rief Troller auf einmal aus, „vermutet, dass die neue Melodie von der Westküste her kommt. Wahrscheinlich befindet sich das Superhirn irgendwo hier, zwischen Seattle und San Diego.“
„Haben Sie davon gehört, dass die Wale ihre Paarungsgesänge geändert haben?“ Rubinowitz rannte zu einem Zeitungsständer aus Acryl und fischte den San Francisco Chronicle heraus. „Hier“, sagte er aufgeregt und las ein paar Sätze vor. „Die Gesänge männlicher Buckelwale vor der kalifornischen Küste sind tiefer und rauer geworden. >Es ist eine Revolution in ihrer Kultur im Gegensatz zu einer Evolution<, sagte der Meeresbiologe Michael Broad von der University of California. Früher hätten die Wale den Weibchen in hoher Tonlage ein Ständchen gebracht, nun würben sie mit tiefem Raunen und lautem Brummen um paarungswillige Gespielinnen.“
„Mir ist trotzdem noch nicht klar“, sagte Jane, „woher dieses Superhirn die Kraft haben sollte, auf eine so dramatische Weise die Welt zu verändern.“
„Ich will Ihnen etwas erzählen“, sagte Rubinowitz. „Es gibt tibetanische Buddhisten, die so genannte Tulpas erzeugen, materialisierte Gedankenformen. Sie versuchen zunächst, von einem Bild aus einen festen Gegenstand zu visualisieren, so wie ein Architekt auf der Grundlage von Skizzen ein dreidimensionales Gebäude vor sich sieht. Aber das ist nicht alles. In der Tradition des tibetanischen Yoga visualisiert der Yogi ein heiliges Bild so lange, bis es drei Stadien der Materialisierung durchlaufen hat: Zunächst meditiert er über alle Ansichten des Bildes, bis er es im Geiste vollständig sieht, auch während der alltäglichen Verrichtungen. Sodann wird das Bild wirklich nach außen >projiziert<, wie ein holographisches Bild, das auch andere sehen können. Und schließlich – ob Sie’s glauben oder nicht – materialisiert sich das Bild. In einigen Fällen haben diese Gegenstände, die Tulpas, ihren Urheber sogar überlebt.“
„Können Sie das physikalisch erklären?“
„Natürlich“, sagte Rubinowitz. „Meine Hypothese ist, dass das Gehirn, wenn es wahrnimmt, immer holographisch verfährt. Und eine Holographie, das werden Sie wissen, kommt durch die Überlagerung zweier Wellen zustande. Die Außenrealität ist in Wirklichkeit eine Überlagerung von sensorischen Daten aus Neuinformationswellen und gespeicherten Daten aus Altinformationswellen. Die Neuinformationswellen veranlassen eine Referenzwelle, die Hirnrinde zu >durchleuchten<, während diese eine Altinformationswelle produziert. Beide Informationswellen addieren sich und bringen das Bild hervor, das wir Realität nennen.“
„Aber bei den Tulpas gab es doch keine Neuinformationswelle“, sagte Jane. „Das war doch bloß Fantasie.“
„Das ist genau der Punkt“, sagte Rubinowitz. „Meine Erklärung ist die: Der tibetanische Yogi schafft durch Meditation den Anschluss an den höheren Geist des Großen Träumers – und träumt so ein wirkliches, materielles Ding herbei.“
„Und das mit einem einfachen Menschenhirn“, sagte Jane.
„Um wie viel stärker wäre dann die Kraft zur Materialisierung mit einem höheren Bewusstsein. Wenn es wirklich gelungen ist, verschiedene Gehirne so miteinander zu verknüpfen, dass sie zu einem einzigen neuen Hirn werden, zu einer neuen Entität, zu etwas nie vorher Gekanntem – dann handelt es sich dabei ja nicht um eine bloße Addition. Sondern um ein vielfach höheres, potenziertes Bewusstsein. Dieses Bewusstsein kann nach Belieben Dinge erschaffen oder Dinge zerstören, und es wird ganz sicher auch Wellen mit einer neuen Frequenz aussenden. Ich glaube, von der Kraft und dem Ausmaß eines solchen Bewusstseins können wir uns überhaupt keine Vorstellung machen.“
„Unfassbar“, flüsterte Jane.
Alle drei schwiegen jetzt. Jeder, so hatte es den Anschein, versuchte sich vorzustellen, wie so eine höhere Intelligenz aussehen könnte, und musste mit dem paradoxen Gedanken kämpfen, dass er dazu nur seine einfache Menschenintelligenz hatte. Es war so, als wollte man sich in Gottes Gedanken hineinversetzen und stieße dabei mit dem Kopf an eine unsichtbare Mauer.
„Es gibt noch etwas, das mich an dieser ganzen Sache zutiefst beunruhigt“, sagte Rubinowitz
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