Gottes Gehirn
einem hundert Jahre alten Backsteinbau unweit der Beale Street, der berühmtesten Straße von Memphis. Manche hielten diese Straße für die Geburtsstätte des Blues. B.B. King hatte hier seine Karriere begonnen, Elvis Presley war in dieser Stadt geboren. Ein paar Meilen entfernt lag Graceland, sein Haus mit der Ranch, der Villa, dem Flugzeug und dem Grab.
Behrman hatte, wie er sagte, das Studio unter falschem Namen gemietet, um hier ungestört seinen Forschungen und Studien nachgehen zu können. Offiziell lebte er nur in der Blockhütte. „Es gibt keinen sichereren Ort für mich“, sagte er jetzt mit Tränen in den Augen. „Außerdem hält man mich für tot. Niemand – selbst die nicht, die mich näher kennen – weiß etwas von der Existenz meines Bruders.“
„Er sah Ihnen wirklich täuschend ähnlich“, sagte Troller. „Jedenfalls wie Sie aussahen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben.“
„Wir sind Zwillinge, aber getrennt aufgewachsen. Wir haben uns erst sehr spät kennen gelernt und sind auch danach verschiedene Wege gegangen. Zwei oder drei Mal haben wir uns allerdings den Spaß gemacht, dass er für mich auf einen Kongress ging und an meiner Stelle einen Vortrag hielt. Niemand hat den Unterschied bemerkt.“
„Und nun ist er . . .“, begann Troller, blieb dann aber stecken. Wie sollte er es ausdrücken? „Und nun ist er an Ihrer Stelle gestorben.“
Behrman nickte kaum merklich, so als stehe er unter Schock. Er schien etwas sagen zu wollen, hielt inne und fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen. „Ich hätte daran denken müssen“, murmelte er, „ich hätte daran denken müssen.“ Verzweifelt sah er Troller und Jane an. „Ich habe mir einfach nicht vorstellen können, dass die so weit gehen. Ich hielt mich für zu unbedeutend. In der Scientific Community gelte ich doch als nicht ganz ernst zu nehmende Kassandra.“
„Wer sind >die Von wem reden Sie?“ Jane bekam keine Antwort. Behrman schaute nur abwesend vor sich hin. Es hatte keinen Zweck, ihn zu bedrängen. Es war ohnehin schon ein großer Vertrauensbeweis, dass er Troller und Jane mit in sein Studio genommen hatte. Trotz der Gefahr, in der er sich befand. Und trotz des Schocks, den er erlitten hatte.
Troller nahm einen neuen Anlauf. „Sie haben mit Ihren Büchern den Gegnern der modernen Wissenschaft jede Menge Munition geliefert“, sagte Troller. „Selbst militante Wissenschaftsfeinde wie die FOU benutzen Sie als Kronzeugen.“
Könnten nicht sogar die FOU hinter diesem Anschlag stecken?“, fragte Jane. „Soweit ich weiß, gehören Sie zu den Gründungsmitgliedern dieser Gruppe.“
„Sind Sie verrückt? Warum unterstellen Sie mir nicht gleich, ich hätte meinen Bruder umgebracht!“, schrie Behrman.
„Nein, nein, entschuldigen Sie“, sagte Jane. „Sie haben mich missverstanden. Ich dachte nur, Sie wüssten mehr über diese Leute.“
„Nein“, sagte Behrman und beruhigte sich wieder, „Sie müssen mich entschuldigen, ich habe überreagiert. Bitte, verstehen Sie mich. Ich muss das alles erst mal verkraften. Ja, früher hatte ich etwas mit den FOU zu tun, aber nur ganz am Anfang, im Sommer 1996. Sie haben mich gefragt, ob ich ihr Vorsitzender werden wolle. Ich habe natürlich abgelehnt. Ich fand schon den Namen zynisch. Friends of the Unabomber. Ich meine, Theodore Kaczynski hatte durchaus ein paar richtige Ideen, seine Technik- und Zivilisationskritik teile ich sogar in manchen Aspekten, aber mit seinen Terrormethoden bin ich absolut nicht einverstanden, das brauche ich Ihnen wohl kaum zu sagen.“
„Aber wenn es nicht die FOU waren, wer war es dann?“
„Warum habe ich ihn nur allein gelassen?“, sagte Behrman, ohne auf Janes Worte einzugehen. „Ausgerechnet heute bin ich früh aufgestanden und habe den ganzen Morgen geangelt und meditiert. Als ich zurückkam, war es zu spät. Wenn ich ausgeschlafen hätte, wie ich es ursprünglich vorhatte, dann hätten sie mich erwischt, nicht ihn.“
„Warum haben Sie nicht die Polizei verständigt?“
„Die Polizei?“ Behrman lachte bitter. „Vielleicht mit dem Handy? Dann könnte ich ja gleich eine ganzseitige Annonce in allen Zeitungen schalten: Ich lebe noch! Kommt her und legt mich um! Nein, das Handy sollten Sie ganz schnell vergessen. Und die Polizei? Wenn schon, dann allenfalls das FBI. Aber womit? Mit irgendwelchen Verschwörungstheorien? Da gibt es eine geheime Organisation, die Wissenschaftler umbringt? Wer glaubt einem denn so was? Außerdem wäre
Weitere Kostenlose Bücher