Gottes kleiner Finger - [Thriller]
nahm einen Schluck Gin. »Sie geht bestimmt nach, ich finde, die Zeiger bewegen sich eigentümlich langsam. Wahrscheinlich sind die Batterien bald leer.«
Katharine sah auf ihre Uhr.
»Wahrscheinlich ist zwischen deinen Ohren etwas kaputt. Manchmal funktioniert der Kopf des Menschen auf ziemlich interessante Weise.«
Keskitalo trank sein Glas aus und füllte es sofort wieder neu.
»Aber wenn es uns heute schlecht ergeht – es war nett, dich kennengelernt zu haben«, sagte Katharine.
Drei Stunden später war die Wüste um den Turm herum weiterhin still.
»Immer noch nichts«, bemerkte Keskitalo.
Katharine machte sich nicht die Mühe zu antworten.
»Vielleicht kommen sie gar nicht«, fuhr Keskitalo fort. »Ich hab allmählich den Eindruck, dass sie nicht kommen.«
Katharine wusste nicht, wie viel Keskitalo schon getrunken hatte. Beim sechsten Glas hatte sie aufgehört zu zählen.
Wieder schaute Keskitalo auf die Uhr.
»Sie sind immer noch nicht beim Zaun. Etwas hält sie auf. Das ist ein gutes Zeichen. Jede Minute verbessert unsere Chancen.«
Dann wechselte Keskitalo plötzlich das Thema.
»Bist du übrigens jemals am Amazonas gewesen?«, fragte er.
Katharine lachte.
»Das kann ich nicht behaupten. Warum fragst du?«
»Na, weil ich gehört hab, dass du dir Sorgen darüber machst, was für Folgen unser Projekt für die Sahara hat.«
Keskitalo ging zum Kühlschrank.
»Du solltest einmal hinfahren ... Dort gibt es die größten Überschwemmungswälder der Welt, ein Gebiet so groß wie Frankreich mit Wald, der bis in den Himmel ragt und der jedes Jahr eine Zeit lang überschwemmt wird ... Knorrige Bäume, wie die hohen Säulen einer Kathedrale, und davon gibt es unendlich viele, denn die Wand dieser Kathedrale kommt einem nicht nach ein paar Dutzend Schritten entgegen, sondern geht weiter und weiter und weiter, Hunderte und Tausende von Kilometern. Dieser Wald bedeckt Hunderte von Millionen Hektar, Tausende Milliarden Quadratmeter.«
»Das klingt schön«, sagte Katharine aufrichtig.
»Dort gibt es viele Flussdelfine, die Botos. Merkwürdige Urtiere. Die mehr wie ein Ichtyosaurus aussehen als wie ein Flaschenhalsdelfin. Und auch andere, vom Meer in den Fluss aufsteigende Delfine, die Tucuxi. Die Botos haben keine Angst vor dem Menschen, denn niemand wagt es dort, sie zu jagen. Sie kommen oft ganz nahe an das Boot oder einen schwimmenden Menschen heran. Viele lassen sich auch von den Menschen berühren und spielen gern mit deren Kindern.«
Keskitalo betrachtete träumerisch sein Gin-Tonic-Glas.
»Personen, die sie kennen, zeigen sie sogar manchmal ihre eigenen Babys«, fuhr er fort. »Die Menschen am Fluss glauben, dass uneheliche Kinder von Flussdelfinen gezeugt wurden, dass sie Söhne und Töchter von Flussdelfinen sind. Sie glauben, dass die Botos bei Vollmond Menschengestalt annehmen können. Dass sie zu den Festen der Menschen kommen, wenn man sie auf eine bestimmte Weise ruft. Dass die allerschönsten, am besten aussehenden, die verdammt attraktiven jungen Männer und Frauen meistens Botos sind, die gerade für eine Weile ihre Gestalt geändert haben. Deswegen darf man die Flussdelfine nicht töten, denn man kann ja nicht sicher sein, dass man nicht den Vater eines unehelichen Kindes aus dem eigenen Dorf tötet.«
Katharine lächelte.
»Ich finde, das ist eine schöne Glaubensvorstellung. Eine nützliche. Also, wenn man Mist gebaut hat. Und einige von uns bauen immer Mist. In solchen Dingen bauen immer einige Mist.«
»Dort gibt es auch Manaten«, fuhr Keskitalo fort. »Merkwürdige, freundliche Wassertiere von prähistorischem Aussehen. Verwandte der Seekühe. Rührende Wesen. Und Kaimane, außerdem viele Meter lange Anakondas. Die Baumwipfel sind voller Vögel, deren Gefieder in allen Farben des Regenbogens prangt. Und es gibt eine unzählige Menge von verschiedenen Bäumen und Insekten. Die Luftwurzeln mancher Bäume sind größer und dicker als die Bäume, die wir in Europa für sehr groß halten. Und all die Käfer, sie sind wie fliegende Edelsteine oder Bonbons ... ebenso wie die im Wasser von Baumhöhlen lebenden Frösche. Und die Blüten der verschiedenen Bäume und der darauf wachsenden Ranken ... Das solltest du mal sehen, dort findet sich mehr als die Hälfte aller Arten von Lebewesen der terrestrischen Ökosysteme des Erdballs. Sie müssen sterben, wenn wir die Klimaerwärmung nicht in den Griff bekommen. Auch das alles ist es wert, bewahrt zu werden. Vielleicht würdest du dich
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