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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Wald wie ein Gespenst zu bewegen, in einer Weise, zu der Lauri niemals imstande gewesen war. Während Alice einen Bogen ins Hinterland der Taliban schlug, war Lauri zurückgeblieben, um die Moral der anderen, mehr als leicht erschütterten Mitglieder der Gruppe aufrechtzuerhalten.
    Als Lauri und die anderen achtzig unverletzten Mitglieder des Stoßtrupps eine halbe Stunde später die Verwundeten zum Hubschrauber schleppten, hatten sie bei jedem Schritt das Gefühl gehabt, auf Leichen zu treten. Alice hatte später niemals über das Geschehene sprechen wollen.
    Aber nach dieser Nacht hatte Präsident Bush beschlossen, dass die Vereinigten Staaten im afghanischen Krieg keine amerikanischen Bodentruppen mehr einsetzen würden, solange die Taliban nicht aufgerieben waren. Deshalb hatten sie sich mit den Schlächtern von der Nordallianz verbündet und den gesamten Landkrieg den Tadschiken anvertraut. Sie hatten lediglich vor den Panzerkolonnen der nördlichen Allianz alles in Schutt und Asche gelegt.
    Ein paar Wochen später, als der Widerstand der Taliban zusammengebrochen war, hatten sie dann wieder ihre eigenen Bodentruppen nach Afghanistan gebracht und waren in den Kämpfen von Tora Bora und Spin Boldak zum ersten Mal direkt mit Truppen von Osama bin Laden zusammengestoßen. Der Angriff der Nordallianz und die Bombardierungen aus der Luft hatten die Truppen der Taliban aufgerieben, aber der größte Teil von Osama bin Ladens Saudis, der sonstigen arabischen Afghanen und der Usbeken hatte sich rechtzeitig über die Grenze nach Pakistan zurückgezogen. In Tora Bora und im Spin Boldak hatten ihnen nur noch kleine Nachhuttrupps gegenübergestanden, deren einzige Aufgabe es gewesen war, sie noch für kurze Zeit aufzuhalten.
    Endlose, dunkle, zu komplizierten Labyrinthen verschachtelte Höhlen. Alte, waagerechte Brunnen, von deren Lateritwänden die Feuchtigkeit troff und an deren Grund kleine Wasserrinnsale flossen. Gänge, die von den Russen gesprengt und hier und dort mit Beton verstärkt worden waren. Die Lichtkegel der Taschenlampen an den Gangwänden, grauer, feuchter Moosbewuchs, Schimmel, größere Hausschwämme, da und dort Betonräume. In manchen der Fußboden mit Wasserpfützen bedeckt. Feuchtigkeit und Kälte. Hier und da Leichen, das Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse verzerrt. Terroristen, die den Tod fanden, weil die sauerstofffressenden oder thermobarischen Bomben ihnen die Lungen zerrissen und sie an ihrem eigenen Blut hatten ersticken lassen.
    Ein Teil der Höhlen bestand aus etwa dreitausend Jahre alten, immer noch gutes Trinkwasser produzierenden Karez, also waagerechten Brunnen, die im Wesentlichen das einzige in Afghanistan noch übriggebliebene wertvolle, unbeschädigte Eigentum war, das die sowjetischen Truppen seinerzeit nicht hatten zerstören können. Jetzt hatten die Amerikaner auch das mit ihren Bombardements vernichtet.
    Die letzten etwa fünfzig al-Qaida-Kämpfer waren im dicken Schnee über einen hohen Pass nach Pakistan geflüchtet, aber viele von ihnen waren schon verwundet, und alle hatten schlimme Erfrierungen. Lauter jämmerliche, verzweifelte arme Teufel, die keinerlei Chancen hatten zu entkommen, denn die Truppen der Vereinigten Staaten und der anderen NATO-Länder waren von der einen Seite und die pakistanische Armee von der anderen nähergerückt. Zwanzigtausend Mann hatten sie belagert. In Dandar Kili hatten die Dorfbewohner die Flüchtlinge freundlich aufgenommen. Sie hatten ihnen Tee, Essen und ein Nachtlager angeboten. Als aber die Partisanen eingeschlafen waren, fesselten die Dorfbewohner sie und lieferten sie an die US-Armee aus. Weil sie selbst zu viel Angst hatten.
    Lauri erinnerte sich, wie die von den Dörflern festgesetzten Terroristen aussahen, als sie nach Dandar Kili kamen. Alice war blass geworden, als sie deren grauenhafte Erfrierungen und die Hände und Füße sah, die aus blauschwarzem, abgestorbenem Gewebe bestanden.
    Die Einwohner von Dandar Kili aber hatten gegen eine der allerwichtigsten Regeln des Pashtunwali, des Rechts- und Ehrenkodexes der Paschtunen, den Nanawateh, verstoßen, der das Leben des Stammes regelt. Nach dem Nanawateh muss man das Leben eines Fremden immer verteidigen, und sei es um den Preis des eigenen Lebens. Nanawateh ist für die Bergbewohner eine wichtige, die allerheiligste Regel, denn wenn der Reisende in den Bergen vom Winter überrascht wird und plötzlich überall zwei Meter Schnee liegen, stirbt der Fremde, wenn die anderen ihm

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