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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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daran, dass es nicht nur um sie und ihn ging, sondern noch um jemand anderen.
    Noch bevor er über den Zaun geklettert war, hatte Rico, als habe er lange darüber nachgedacht oder als hätte die Stille der Kirche ihn beeinflusst, beschlossen Vater zu werden, und er war überzeugt, Julika würde einverstanden sein. Unmittelbar nach dieser Entscheidung, die er eigentlich nicht getroffen, sondern der er sich vielmehr begeistert hingegeben hatte, verschwendete er keinen weiteren Gedanken daran. Dafür redete er sich ein, dass der metallic-graue BMW, auch wenn er mindestens zehn Jahre alt war, genau der richtige Wagen für die Reise wäre. Neben dem hinteren Nummernschild prangte ein USA-Emblem, weiße Sterne auf blauem Grund, rotweißes Banner. Rico schätzte, die Kiste auf zweihundertzwanzig hochjagen zu können. Fünfmal schlich er in der Hocke um das Auto herum, bevor er fand, es sei zu auffällig. Also kehrte er zu dem Golf zurück, den er schon vorher in Augenschein genommen hatte, wischte das Seitenfenster ab und spähte ins Innere, in der Hoffnung, jemand habe aus Versehen den Schlüssel stecken lassen.
    Auf der Rückseite des Bürogebäudes lagen die Toiletten. Rico schlug eines der beiden kleinen Fenster ein und kletterte ins Innere. Juri hatte ihm einmal gezeigt, wo die Schlüssel hingen, auch der für das Tor. Das Gelände war weder videoüberwacht, noch gab es eine Alarmanlage, was natürlich kein Kunde erfahren durfte.
    In einer Geldkassette im unverschlossenen Aktenschrank entdeckte Rico fünfhundert Euro, die er einsteckte. Warum er das Geld seiner Mutter nicht genommen hatte, verstand er immer noch nicht. Er wollte jetzt nicht nachdenken. Er musste sich auf den Autoschlüssel, den Fahrzeugschein und den Schlüssel für das Tor konzentrieren.
    Jetzt hatte er es eilig. Trotzdem zwang er sich, so lässig wie möglich das Tor aufzusperren, den Wagen anzulassen, durch das Tor zu fahren, anzuhalten, das Tor zu schließen und wegzufahren. Fußgänger wichen dem Auto aus. Sie hatten die Regenschirme tief vors Gesicht gezogen. Eine ältere Frau mit einer Plastikhaube auf dem Kopf hatte kurz zu ihm hergesehen, als er das Tor zugeschoben hatte.
    Nach fünfzig Metern starb der Motor ab. Rico drehte den Zündschlüssel. Der Motor stotterte. Der Golf musste bereits repariert sein, denn die defekten Fahrzeuge standen, wie Rico von Juri wusste, auf den Stellplätzen direkt vor der Garage und nicht in der Nähe des Zauns.
    Das Fahren bereitete ihm Freude und fiel ihm leicht. Wenn einmal sein Kind auf der Welt war, würde er ein gebrauchtes Auto kaufen, das stand fest. Er kratzte sich am Kopf und warf einen Blick in den Rückspiegel. Wasser tropfte von seinen Haaren, und die Narbe zeichnete sich rot und groß auf seiner bleichen Stirn ab.
    Das Einzige, was ihn verunsicherte, war seine Kurzsichtigkeit. Er beugte sich zur Scheibe hin. Verzerrte Lichtkreise kamen ihm entgegen, er hatte Mühe, die Abzweigungen nicht zu verpassen. Außerdem beschlugen die Fenster. Er hantierte am Heizungsschalter, drehte die Temperatur höher, drückte den Knopf für das Seitenfenster, und es glitt vollständig herunter. Spitze Tropfen schlugen ihm ins Gesicht und lösten die Klebestreifen des Verbands über seiner Nase. Er riss ihn ab und schleuderte ihn auf die Straße, drückte auf den Knopf, und das Fenster glitt hinauf, während eine Böe durchs Auto fegte und er beinahe das Lenkrad verrissen hätte.
    An einer roten Ampel stieg er im Leergang unabsichtlich aufs Gaspedal. Als er den Fuß wegnahm, schaltete die Ampel auf Grün. Er wollte losfahren, und der Motor starb wieder ab. Ein Streifenwagen kam ihm entgegen und fuhr vorbei. Dann tastete Rico nach seiner Nase. Sie fühlte sich unförmig an. An seinem Hinterkopf klebte noch ein Pflaster. Vor einer Baustelle stauten sich die Autos. Er sah auf die Uhr. Viertel vor elf.
    »Hören Sie mich?« Er klopfte gegen das Türfenster, durch dessen Vorhang nichts zu erkennen war. Im Innern des Holzhauses war es dunkel.
    »Ich bin es, Tabor Süden.« Kein Geräusch.
    Die Holzläden vor den Fenstern an der Türseite waren geschlossen. Das Licht in der kleinen weißen Laterne oberhalb der Tür brannte nicht.
    Süden klopfte wieder. Er war sich sicher, die richtige Hütte gefunden zu haben. Bei den anderen hatte ebenfalls niemand geöffnet, doch im Haus Nummer fünfzehn hatte er vorhin ein Licht aufflackern sehen, wie von einem Streichholz.
    »Julika!« Er stützte sich am Geländer ab. Es hatte

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