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Gottes Tochter

Gottes Tochter

Titel: Gottes Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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vor allem das, was du der Polizei nicht gesagt hast. Was ist auf dem Schiff passiert, Rico?«
    Er krümmte sich, kratzte sich am Kopf, holte Luft, öffnete den Mund, schloss ihn wieder, nahm die Teetasse in die Hand, stellte sie auf den Tisch zurück, zog die Stirn in Falten.
    »Bitte sprich mit mir«, sagte seine Mutter.
    »Wir haben gespielt, wie früher. Aufhängen. Julika ist so erschrocken, sie hat gedacht, ich bin wirklich tot, es war ein Spiel, wie früher…«
    Marlen schwieg.
    »Ich weiß, du magst das nicht, aber ich habs für Juri und Ale gemacht. Julika ist ausgeflippt, sie ist vom Schiff runtergerannt, sie wollt nicht mehr zurück. Und dann haben wir Ale gesucht, um uns zu verabschieden, und dann hats gebrannt.«
    »Warum hat Juri sie betrunken gemacht, Rico?«
    »Hat er doch nicht!«, sagte er in einer Lautstärke, die ihr nicht gefiel. »Die hat freiwillig getrunken, erst sagt sie immer, sie hat keine Lust zu trinken, dann kann sie nicht mehr damit aufhören, die ist selber schuld. Wieso ist die nicht rausgelaufen aus dem Klo? Wieso ist die da drin geblieben? Die andern sind doch auch alle runter vom Schiff, jeder hats geschafft, nur sie nicht, wieso nicht?«
    Die Ringe unter seinen Augen waren schwarz. Vielleicht kam es Marlen in dem kalten Licht auch nur so vor. Sie wollte Rico in die Arme nehmen und traute sich nicht. Mit seinen chaotischen Haaren und dem bleichen Gesicht sah er erbarmungswürdig aus.
    »Hast du eine Ahnung, wer die Raketen angezündet haben könnte?«, fragte Marlen.
    »Das hat mich der Halberstett auch tausendmal gefragt. Da sind lauter Leute dagewesen, die ich nicht gekannt hab, ich glaub, Juri hat sie auch nicht gekannt, die sind einfach mit andern Leuten mitgekommen, die haben gehört, da ist was los, da gibts umsonst was zu essen und zu trinken und… Den Steffen mach ich morgen fertig, der sagt so was nicht mehr!«
    Dann schwiegen sie. Rico sah zur Tür seines Zimmers.
    »Habt ihr über die Sache von damals gesprochen?«, fragte Marlen.
    »Die ganze Zeit«, sagte Rico. »Juri wollt genau wissen, ob ich was gehört hab, von der Staatsanwaltschaft oder von der Polizei. Ich hab gesagt, ich weiß nur das, was in der Zeitung gestanden hat, dass diese Staatsanwältin uns noch mal verhören will, uns alle. Juri hat gesagt, er hat mit Ale geredet und sie hätt geschworen, dass sie nichts sagt, so wie damals, sie hält den Mund.«
    »Und jetzt ist sie tot.«
    Rico stutzte. »Ja, aber… das hat doch damit nichts zu tun, das war ein Unfall auf dem Schiff…«
    »Damals«, sagte Marlen, »das war auch ein Unfall. Das hast du immer behauptet, und Ale auch.«
    »Ich will darüber nicht sprechen.«
    »Die Polizei wird darüber sprechen wollen.«
    Nach einem Schweigen sagte Rico: »Ale ist tot. Und ich weiß nichts.«
    Marlen schüttelte den Kopf. Er hatte ihr nie genau erzählt, was damals in dem brennenden Haus wirklich geschehen war, er hatte immer nur dasselbe ausgesagt, vor der Polizei, vor ihr, vor den Journalisten, vor seinen Freunden, immer dasselbe, wie auswendig gelernt, und alle, die verdächtigt worden waren, mit dem Tod des Vietnamesen etwas zu tun gehabt zu haben, mussten nach und nach wegen Mangels an Beweisen freigelassen werden. Auch Juri. Er war der Hauptverdächtige gewesen.
    Und Rico sein Hauptentlastungszeuge.
    »Wann musst du morgen in der Blücherstraße sein?«, fragte Marlen.
    »Um elf.«
    »Dann geh jetzt schlafen. Soll ich morgen zu Hause bleiben?«
    »Nein.«
    Sie küsste ihn auf die Wange, die voller Stoppeln war.
    Er hatte ein paar Mal anklopfen müssen, bevor sie die Tür aufsperrte. Ohne ihn anzusehen, legte sie sich aufs Klappbett, das Gesicht unter den Armen vergraben. Rico fiel sofort auf, dass sie vorher auf seinem Bett gelegen hatte.
    Er kniete sich neben sie und strich ihr vorsichtig über den Kopf. Sie bewegte sich nicht. Er hörte auf und behielt die flache Hand weiter in der Luft, genau über ihrem Hinterkopf.
    »Ich wollt dich nicht erschrecken«, sagte er leise. »Das ist bloß ein Trick, ganz ungefährlich, man darf sich nur nicht falsch bewegen, das wär riskant, oder eckige Bewegungen, die könnten auch gefährlich werden. Mir ist noch nie was passiert. Okay, einmal bin ich abgerutscht, aber da hab ich die Wette schon gewonnen gehabt.«
    Er wusste nicht recht, wohin mit seiner Hand, die leicht zitterte. Er berührte ihren Rücken. Julika bewegte sich nicht.
    »Du bist nicht schuld, dass Ale tot ist«, sagte er.
    »Niemand ist schuld. Es war ein

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